Apiranthos – ein traditionsreiches Bergdorf
Eines der größeren Dörfer von Naxos ist das in etwa 600 Metern Höhe am Hang des Fanári gelegene traditionsreiche Dorf Apíranthos. Es liegt auf einem kleinen Bergrücken zwischen zwei malerischen, bewirtschafteten Hochtälern.

Apíranthos liegt am östlichen Hang des Fanári. Ganz vorn rechts liegt die Schule und die Dorfkirche. Foto: Pergialis©fotopedia.de

Hier der Blick über das Dorf vom Hang des Fanári aus, d.h. Richtung Südwesten. Foto: Pergialis©fotopedia.de

Das südliche Hochtal bei Apíranthos; in der Mitte sieht man ganz im Hintergrund knapp den Zeus-Gipfel herausragen

Hier der Blick ein wenig weiter rechts; man sieht die ersten Häuser des Dorfes.

Und noch einmal das Dorf selbst; in der Mitte des Bildes sieht man den alten venezianischen Wehrturm.

Blick über das nördliche Hochtal

Blick von Nordosten auf das Dorf
Dialekt und Reime
Alle Dörfer der Insel haben ihren eigenen Charakter, aber Apíranthos ist ein ganz besonderes und eigenartiges Dorf. Der apiranthitische Dialekt weicht so stark vom normalen Neugriechisch ab, dass er von Griechen aus anderen Gegenden des Landes nur mit Mühe verstanden wird. In abgeschwächter Form spricht man den Dialekt auch heute noch. Im apiranthitischen Dialekt sind zusätzlich zu lokalen Ausdrücken auch viele Wörter und grammatische Formen aus dem Altgriechischen erhalten. Außerdem weicht die Aussprache ab, was deutlich zu hören ist; insbesondere wird das „l“ etwa so ausgesprochen wie ein englisches „r“. Ähnlich ist der Dialekt der Gegend Sfakiá in Kreta, von wo aus Apíranthos besiedelt worden sein soll. Die Apiranthiten selbst nennen ihr Dorf „Aperáthou“.
Besonders bemerkenswert ist außerdem die bei den Einwohnern des Dorfes verbreitete Sitte, in aus dem Stegreif gedichteten Reimen zu sprechen („kotsákia“), eine Tradition, die sich leider heute verliert, wie so vieles andere. Es gibt aber noch einen sehr lebendigen Schatz von Hunderten überlieferter Reime, die bei allen Gelegenheiten zitiert oder gesungen werden. Die kotsákia können aus zwei 15-silbigen Zeilen bestehen, oder aus zwei 8-zeiligen, wobei oft durch den „Zeilenumbruch“ ein Wort zerteilt wird, was den kotsákia einen besonderen Rhythmus und eine besondere Eindrücklichkeit verleiht.
Geschichte
Wann das Dorf Apíranthos gegründet wurde, wissen wir nicht; die frühesten Angaben stammen aus dem 15. Jahrhundert. Sicher war die Region aber schon viel länger, aller Wahrscheinlichkeit nach mindestens seit der Frühen Bronzezeit (3. Jahrtausend v. Chr.), besiedelt. Interessant ist, dass es in der Gegend von Apiranthos, wie überall auf Naxos, eine ganze Reihe von Ortsbezeichnungen gibt, die auf antike, oft homerische Wörter zurückgehen, die seit dem Altertum im normalen Wortschatz nicht mehr vorkommen. Die Ortsbezeichnungen wurden also über all die Jahrhunderte von Generation zu Generation weitergegeben, was bezeugt, dass die Gegend seit homerischen Zeiten kontinuierlich besiedelt war.
In der venezianischen Zeit war das Dorf auf drei katholische Lehnsherren aufgeteilt, die jeder einen wehrhaften Wohnturm (pyrgos) im Dorf besaßen. Die zwei heute erhaltenen größeren Wohntürme in der Dorfmitte wurden erst gegen Ende der venezianischen Herrschaft im 17. Jahrhundert errichtet.
Die große Dorfkirche Panagía Aperathítissa stammt aus dem 18. Jahrhundert. Im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts gelangte das Dorf durch den Schmirgelabbau zu einigem Wohlstand. Mehrere bedeutende Politiker, insbesondere der bekannte Widerstandskämpfer und Europa-Abgeordnete Manolis Glezos, sowie zahlreiche Wissenschaftler und Ärzte stammen aus Apíranthos.

In der Mitte des Dorfes liegt der venezianische Wohnturm „Pyrgos Zevgolis“.

Der venezianische Wohnturm stützt sich auf einen abenteuerlichen Rundbogen.

altes aus Stein gemauertes Haus

Die der Jungfrau Maria geweihte Hauptkirche des Dorfes gehört zu den größeren Kirchen von Naxos.

Ansicht des Dorfes
Die Schmirgelminen
Wie im benachbarten Bergdorf Koronos gibt es auch in Apíranthos Schmirgelvorkommen, die von den Bewohnern des Dorfes schon seit Jahrhunderten ausgebeutet werden. Die sieben Schmirgelminen, die zu Apíranthos gehören, und eine Station der Schmirgelseilbahn liegen im Tal Kakóriakas nördlich des Dorfes. Bis heute liefert der Schmirgelabbau vielen Einwohnern von Apíranthos eine Einnahmequelle bzw. ihre Rentenversicherung.

Die Schmirgelminen von Apíranthos liegen im steilen Tal Kakóriakas.

Hier befindet sich auch eine große Station der Schmirgelseilbahn; auf dem Foto schaut man das Tal hinunter Richtung Moutsoúna.

im Gang einer Mine

der Hohlraum einer ehemaligen Schmirgellinse mit einem stehengelassenen Stützpfeiler
Die Kykladen-Architektur
Das Dorf Apíranthos ist ein charakteristisches Beispiel für die Architektur der Kykladen. Ein typisches Kykladendorf liegt auf den Bergen, vom Meer aus nicht zu sehen (wegen der Bedrohung durch Piraten), und ist aus eng aneinander geschmiegten, natursteinernen Häusern mit flachen Dächern und schmalen Gassen dazwischen errichtet; oft haben die Häuser kleine Innenhöfe. In den letzten Jahrhunderten wurden die Häuser mit selbstgebranntem Kalk weiß verputzt, nicht nur aus hygienischen Gründen, sondern auch weil sie so im Sommer kühler bleiben.
Charakteristische Merkmale der apiranthitischen Architektur sind die mit Marmorplatten ausgelegten Gassen und die abgeschnittenen Ecken der Eckhäuser, durch die vermieden werden sollte, dass die schwer beladenen Esel in den engen Gassen „aneckten“. Charakteristisch sind die Marmorbalken (mórsa) rund um die Türen und Fenster, die Konstruktionsweise der Fenster mit Glasfenster außen und Fensterladen innen, sowie im Haus die großen, ebenerdigen Kamine mit Sitzplätzen rechts und links der Feuerstelle und die „Innenfenster“ zwischen den Zimmern, die dadurch entstanden sind, dass man den ursprünglichen Vorhof in ein Zimmer verwandelt hat. In Apíranthos haben sich alle diese Merkmale der Architektur noch erhalten.

Die Gassen des Dorfes sind mit Marmorplatten ausgelegt.

An manchen Stellen verläuft die Gasse unter einem Haus.

An den Eckhäusern in den Gassen sind oft die Ecken abgeschnitten, damit die schwer beladenen Esel nicht anstoßen.

Die Häuser sind eng verschachtelt.

Die Türen sind von Marmorbalken („mórsa“) umrahmt, in die oft Wappen oder Namen der Erbauer sowie Jahreszahl eingraviert sind.


Auch um die Fenster sitzen Marmorbalken; traditionellerweise befinden sich die Glasfenster außen und die Fensterläden innen.
Apíranthos heute
In Apíranthos wohnen ganzjährig etwa 600 Menschen. Das Dorf hat sich nur zögerlich dem Tourismus geöffnet, aber heute gibt es viele Tavernen und Übernachtungsmöglichkeiten, und Fremde sind immer willkommen.

Malerisch: der unvermeidliche Platanenbaum…

…der kleine Dorfplatz…

…die engen Gassen…

…eine der zahlreichen kleinen Kirchen…

…und noch mehr Gassen.

die Hauptkirche Panagía Aperathítissa



Wie gut, dass noch nicht überall der Fortschritt Einzug gehalten hat! In Apiranthos werden die Glocken noch per Hand geläutet – und ich finde, dass nur so das Glockenläuten seine wirkliche Bedeutung vermittelt…
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Innen ist die Kirche mit einer kostbaren marmornen Altarwand ausgestattet.

Zum Nationalfeiertag am 25. März findet die obligatorische Parade der Schulkinder statt. Die Kinder tragen teilweise die traditionelle Tracht.
Aperathitische Traditionen
Im Dorf sind noch einige der alten Handwerke lebendig. Die Frauen des Dorfes beschäftigen sich viel mit der traditionellen Weberei, mit der sie Gardinen, Kissenbezüge, Küchenhandtücher, Tischtücher und vieles mehr herstellen. Man kann die Websachen im Laden der Frauen-Kooperative vor der Kirche erwerben. Auch das Brot wird noch im alten Holzofen gebacken und die Bäckerei ist fast ebenso ausgestattet wie auch schon vor 100 Jahren.

Hier die traditionelle Tracht, rechts der festlandsgriechische Faltenrock (foustanélla), links die auf den Kykladen übliche Tracht mit Pumphose (vráka), breitem Stoffgürtel und rotem fési (siehe auch das vorige Bild).

Der Bäcker von Apiranthos bäckt sein Brot noch im alten Steinofen.




restaurierte Windmühle bei Apíranthos

Wassermühle bei Provolákia
Die Frauen-Kooperative
Die Frauen in Apíranthos erhalten die lokale Tradition des Webens in einer Kooperative aufrecht. Den Winter über weben sie gemeinsam in Räumen der Gemeinde die traditionellen Stoffe, die sie im Sommer im Gebäude der Kooperative verkaufen.

Viele Frauen beschäftigen sich noch mit der alten Tradition des Webens; sie statten so nicht nur ihre eigenen Haushalte und die ihrer Kinder aus, sondern verkaufen inzwischen auch viel an Touristen.

In diesem kleinen Gebäude gegenüber von der Dorfkirche verkaufen die Frauen ihre handgewebten Stoffe.


Die Stoffe, Kissen, Bettüberwürfe, Gardinen, Tischdecken, Beutel usw. sind alle auf traditionelle Art handgefertigt. Die Stoffe in der oberen Reihe sind nicht bestickt, sondern das Muster wird am Webstuhl, aber Reihe für Reihe von Hand erstellt, nicht durch Heben und Senken der Schäfte, die die „normalen“ Muster (untere Reihe links) produzieren.

Hier sieht man den Mechanismus eines Webstuhls, mit zwei Schäften zum Produzieren der Muster. Oft werden für aufwändigere Muster auch vier Schäfte verwendet. Die Frauen in der Kooperative sind gern bereit, einem die Anfertigung der Stoffe zu erklären.
Museen in Apiranthos
Apiranthos zeigt trotz seiner Kleinheit eine erstaunliche kulturelle Lebendigkeit. Es gibt einen Kulturverein, der sich bemüht, die Traditionen des Dorfes aufrecht zu erhalten, und ein Kulturzentrum mit einer Bibliothek und Räumen, in denen Vorträge oder Symposien abgehalten werden. Am bemerkenswertesten sind aber die Museen des Dorfes. Apíranthos verfügt über nicht weniger als fünf Museen: zur Archäologie, Volkskunde, Geologie, Naturgeschichte und Bildenden Kunst. Das archäologische Museum ist zwar klein, aber sehr sehenswert mit interessanten Fundstücken vor allem aus der Bronzezeit.
Das archäologische Museum

Das archäologische Museum liegt in der Hauptgasse des Dorfes. Man kann eine Eintrittskarte für alle Museen des Dorfes lösen.

Im Museum sind Funde aus dem Gemeindegebiet von Apíranthos ausgestellt, vor allem aus der Frühen Bronzezeit, der sogenannten „Kykladenkultur“.

bronzezeitliche Steinvasen im archäologischen Museum in Apíranthos

In diesem Schaukasten ist ein Teil der bemerkenswerten in der Nähe von Pánormos gefundenen Steinplatten mit Einritzungen ausgestellt.

bronzezeitliche Steinritzung
Das volkskundliche Museum

Das volkskundliche Museum befindet sich im Kulturzentrum unterhalb der Hauptgasse des Dorfes. Hier ein alter Webstuhl im Museum.

Mit traditionellen handgewebten Stoffen ausgestattetes Bett. Die Betten waren üblicherweise aus Metall gefertigt em><(karióles)/em><.

Hier die typische Tracht des Dorfes; links die traditionelle Pumphose mit Stoffgürtel (und rotem Fes), die bis etwa vor hundert Jahren von den Männern in den Dörfern von Naxos getragen wurde.

Im Museum ist auch ein gerettetes Stück der Wandmalereien aus der Kirche Theotókos tou Dímou ausgestellt, die sich im Tal nördlich von Apíranthos befindet und vor einigen Jahrzehnten eingestürzt ist.
Feste in Apíranthos
Von besonderem Interesse ist der Karneval in Apiranthos, dessen Bräuche sich bis ins letzte Jahrhundert fast unverändert aus der Antike erhalten hatten. Auch heute noch rennen die jungen Männer am Sonntag vor dem Beginn der Fastenzeit als „koudounáti“ durch das Dorf, wobei sie mit höllischem Lärm den Winter austreiben. Das wichtigste christliche Fest ist Ostern – wie überall in Griechenland.

Um als „koudounátos“ den Winter auszutreiben, benötigt man Ziegenglocken, den traditionellen Ziegenhaar-Umhang der Hirten und einen Stock aus dem Stängel des Riesenfenchels (sómba), ganz gemäß der antiken dionysischen Traditionen.

Die koudounáti rennen unter ohrenbetäubendem Ziegenglockengeschepper durch’s Dorf.

Zu Karneval spielen die traditionellen Instrumente auf: der Dudelsack (tsamboúna), begleitet von der Trommel (toumbáki).

Auch Ostern ist ein sehr wichtiges Fest. Hier wird vor der Dorfkirche der Epitaph geschmückt.

die Dorfkirche zu Ostern
Sehenswürdigkeiten
Außer im Dorf selbst gibt es auch in der näheren Umgebung von Apiranthos einiges zu sehen, wenn man gut zu Fuß ist. Einen Besuch wert sind vor allem eine Reihe interessanter byzantinischer Kirchen, von denen die meisten jedoch normalerweise abgeschlossen sind.
Interessante Kirchen und andere Sehenswürdigkeiten bei Apíranthos:
- Agia Kyriaki mit Wandmalereien aus dem 9. Jahrhundert
- Agios Georgios und Agios Pachomios mit Wandmalereien aus dem 13. Jahrhundert
- Agios Ermolaos aus dem 9. Jahrhundert, mit geringen Resten von Wandmalereien
- Panagia Chrysopigi (ursprünglich ein mykenisches Grabmal)
- Agios Panteleimonas in Lakkomersina mit Wandmalereien aus dem 13. Jahrhundert
- Der Wallonen-Eichenhain bei Apiranthos
- Die Steinhäuser am Karkos

Die kleine Kirche Agia Kyriaki in Kalloní auf dem Weg zu den Schmirgelminen ist kürzlich sorgfältig restauriert worden.

Sie mit sehr seltenen Wandmalereien aus dem 9. Jahrhundert, der Zeit des Bildersturms, ausgeschmückt

Auch die sehr alte Kirche Theológos Joánnis ston Afiklí mit bedeutenden Wandmalereien ist kürzlich restauriert worden.

die Kirchen Agios Pachomios und Agios Georgios bei Apiranthos

Engel in der Kirche Agios Pachomios bei Apiranthos, Wandmalerei aus dem 13. Jhd.

Die winzige Kirche Panagía Chrysopigí war ursprünglich ein mykenisches Grabmal.

altes Steinhaus am Karkós
Wandermöglichkeiten
In Apíranthos treffen sich viele lohnenswerte Wanderwege. Wanderweg 1 führt über die Schmirgelminen nach Moutsoúna; man kann auch eine Runde durch das nördliche Hochtal bis zur Kirche Ágia Kyriakí laufen und dann auf der anderen Talseite zurück. Wanderweg 8 führt auf den Fanári und dann nach Kalóxylos oder Moní; oder über Sífones rund um den Fanári wieder nach Apiranthos zurück. Wanderweg 3 führt durch das südliche Hochtal (auch als Runde zu laufen) und nach Danakós, oder in die andere Richtung nach Keramí. Wanderweg 13 führt nach Provolákia (13A) oder über Lakkomérsina und Grámmata und nach Danakós. Außerdem kann man wunderbar auf einem bestens erhaltenen Maultierweg etwas oberhalb der Fahrstraße von Apíranthos nach Moutsoúna laufen.
Hier finden sich Beschreibungen von Wanderungen, die wir schon gemacht haben:
- Fanari 1: Panorama mit Sonnenuntergang
- Fanari 2: Glockenblumen und Geier
- Agia Kyriaki und Schmirgelminen
- Von Apiranthos nach Azalas
- Nach Apiranthos und wieder zurück
- Durch das Hochtal südlich von Apiranthos
- Ausflug nach Lakkomersina
- Zu den Wassermühlen bei Provolakia
- Von Apiranthos nach Chalki
- Von Apiranthos nach Moni
- Von Kaloxylos nach Apiranthos und zurück
- Um den Fanari

auf dem Fanári

auf dem Weg zu den Schmirgelminen

im Hochtal südlich von Apiranthos

am Karkós mit seinen riesigen Walloneneichen

eindrucksvolle Felsen bei Provolákia

Platanen im Tal bei Provolákia

auf der Wanderung um den Fanári

auf dem kalderími zwischen Apíranthos und Moutsoúna

Im Winter kann in Apíranthos, wie in den anderen Bergdörfern, auch mal Schnee liegen.
siehe auch:
- Dörfer und Siedlungen
- Die Sehenswürdigkeiten
- Das archäologische Museum in Apiranthos
- Die Geschichte der Insel Naxos
- Das byzantinische Naxos
- Naxos unter den Venezianern
- Moutsouna – ein Hafenort mit Geschichte
- Die Schmirgelminen von Naxos
- Ein besonderer Karnevals-Brauch in Apiranthos: die Koudounati
zum Weiterlesen: