Ölbaum, Olea europaea: Der heilige Baum der Athene
Wenn man Natur und Kultur des Mittelmeergebietes durch ein Symbol repräsentieren will, dann wird man wohl den Ölbaum wählen: den genügsamen, überlebenstüchtigen, langlebigen Baum, der den Menschen das unentbehrliche Olivenöl schenkt, Quelle von Wohlstand und Reichtum.
Ölbaum, Olea europaea, L.
Der heilige Baum der Göttin Athene, der Ölbaum, ist – kultiviert oder wild – eine der eindrucksvollsten Baumarten von Naxos.


Der Ölbaum gehört zu den immergrünen Hartlaubgewächsen; seine widerstandsfähigen, länglichen Blätter sind auf der Unterseite, die die Spaltöffnungen tragen, durch weiße, glänzende Haare vor Verdunstung geschützt; dadurch erhalten Ölbäume ihre typische silbrige Färbung.

Ölbäume wirken aufgrund der Behaarung der Blattunterseite silbern.

Ölbaum in voller Blüte

Die Blüten besitzen kleine, verwachsene Blütenblätter mit vier Zipfeln, die als Ganzes abfallen. Sie werden durch den Wind bestäubt; entsprechend trägt der Ölbaum nur dann reiche Frucht, wenn zur Zeit der Blüte ausreichender Wind weht.


Sommers wie winters: Ölbäume sind einfach schön!
Der Wilde Ölbaum
Die Wildform des Ölbaums (Olea europaea var. sylvestris) ist im östlichen Mittelmeergebiet und in Nordafrika heimisch. Der Ölbaum gehört zu den Ölbaumgewächsen (Oleaceae), einer Familie der Lippenblütlerartigen (Lamiales) mit 25 Gattungen und etwa 600 Arten, die vor allem Sträucher und Bäume umfasst (außer dem Ölbaum und den Eschen sind aus dieser Familie vor allem die Zierpflanzen Jasmin, Forsythie und Flieder bekannt).
Auch auf Naxos wächst der Ölbaum wild und ist in vielen Gegenden sehr häufig, insbesondere auf Marmor in den niedrigen Lagen im östlichen und südlichen Teil der Insel, wo er einen bedeutenden Bestandteil der charakteristischen Macchie bildet und auch an sehr trockenen Standorten vorkommt.

Macchie mit wilden Ölbäumen
Der Wilde Ölbaum ist sehr resistent gegen Trockenheit, aber auch gegen Brand und Fraß. Er kann unter starker Beweidung durch Ziegen als Zwergform mit sehr kleinen, fast schuppenförmigen Blättern wachsen. Die Wildform bildet kleine, runde, sehr bittere Früchte aus, die Öl enhalten, aber kaum Fruchtfleisch besitzen. Das Öl ist ebenfalls bitter, wird jedoch wegen seiner reichen Inhaltsstoffe und Vitamine heute besonders geschätzt.

Wilder Ölbaum mit größeren Blättern an den oberen Zweigen, die außerhalb der Reichweite der Ziegen sind, und winzigen Blättern an den unteren, verbissenen Zweigen.

auch ein Ölbaum

kleine, fast schuppenförmige Blätter an der verbissenen Zwergform
Interessant und merkwürdig ist die Tatsache, dass es jedenfalls hier auf Naxos zwar riesige, Jahrhunderte oder gar Jahrtausende alte veredelte Oliven gibt, aber keine großen Exemplare der Wilden Olive, sondern nur kleine Bäumchen oder niedrige Sträucher. Ich weiß nicht, ob das an der ständigen Beweidung aller ungeschützten, wilden Bestände liegt, oder ob die Wildform natürlicherweise kein hohes Alter erreicht.
Die Kultivierung des Ölbaums
Seit etwa 9.000 Jahren sammelt der Mensch die Frucht des Ölbaumes; die bitteren wilden Oliven wurden allerdings zunächst nur zur Herstellung von Salben und zur Beleuchtung verwendet. Auf den Kykladen waren Öllämpchen seit der Frühen Bronzezeit im 3. Jahrtausend v. Chr. in Benutzung. Ab etwa 4.000 v. Chr. wurde der Olivenbaum im Nahen Osten und auf Kreta kultiviert und veredelt.

Als Nahrungsmittel wurde das Öl vemutlich erst ab der archaischen Periode (etwa 800 bis 550 v. Chr.) verwendet (d.h. nach Homer; die im Internet zu findenden Angaben dazu sind aber unterschiedlich, unsicher und teilweise offensichtlich falsch). Dann erlangte es aber schnell eine sehr große Bedeutung für die Ernährung und war aus dieser bald nicht mehr wegzudenken. Bis heute ist das Olivenöl in Griechenland als Zutat zu ausnahmslos jedem Gericht erforderlich.

Oliven der lokalen, naxiotischen Sorte
Bald erlangte der Ölbaum eine solche Bedeutung für die Wirtschaft, dass das Fällen eines Ölbaumes mit derselben Strafe belegt wurde wie ein Mord. Der Staatsmann Solon (frühes 6. Jahrh. v. Chr.) förderte die Kultivierung des Ölbaums und den Export von Olivenöl, der der Stadt Athen zu einem bedeutenden Reichtum verhalf. Er erließ sogar ein Gesetz, das den Mindestabstand für das Pflanzen von Ölbäumen vorgeschrieb, damit der größtmögliche Ertrag erzielt werden konnte.

Der Ölbaum in der Mythologie
Verständlicherweise spielt der Ölbaum auch in der griechischen Mythologie und Religion eine große Rolle. Die alten Geschichtsschreiber berichten uns, dass die Götter Athene und Poseidon einen Wettstreit durchführten, wer Schutzgott der Stadt Athen werden sollte. Poseidon schenkte den Athenern, um ihre Gunst zu ergattern, einen Salzquell, den er durch einen Stoß seines Dreizacks hervorsprudeln ließ, während Athene mit einem Stoß ihrer Lanze einen Ölbaum sprießen ließ. Die Athener wählten Athene und ihren segensreichen Baum und verliehen ihrer Stadt ihren Namen.
Entsprechend seiner außerordentlichen Bedeutung für die Wirtschaft der griechischen Staaten und aufgrund seiner Langlebigkeit und seiner Fähigkeit immer wieder auszuschlagen, wurde der Ölbaum zum Symbol für Wohlstand. Die berühmte Statue des Zeus in Olympia trug einen Kranz aus Ölzweigen. Den Siegern bei den Olympischen Spielen wurden als Preis Amphoren mit Olivenöl verliehen. Die Olympische Flamme wird auch heute noch mit einem Ölzweig entzündet.
In der christlichen Religion ist der Ölbaum auch Symbol für den Frieden (der größte Schaden wurde einem Staat bei einem Krieg durch das einfallende Heer zugefügt, wenn dieses die Ölhaine fällte oder abbrannte). Nach der Sintflut brachte die von Noah ausgesandte Taube einen Ölzweig zurück. Heute ist die Fahne der UNO mit einem Kranz aus Ölbaumzweigen verziert.
Der Ölbaum auf Naxos
In allen Gegenden von Naxos wird der Ölbaum kultiviert, außer in den höchsten Lagen um das Dorf Komiakí, wo es zu kühl ist, als dass der Ölbaum Frucht tragen könnte. Überall auf der Insel findet man alte Olivenhaine, die nur noch in geringen Teilen abgeerntet werden. Die meisten Ölhaine befinden sich in der Tragaía, die aus der Ferne wie ein Ölbaumwald wirkt.

die Tragaía aus der Ferne

alter Olivenhain in der Tragaía
Die lokale, traditionelle Olivensorte enthält viel Öl (etwa ein Sechstel bis ein Drittel des Gewichts) und ist sowohl zur Ölproduktion als auch zum Essen gut geeignet. Sie bildet auch die leckeren askoúdes, besondere braun gefärbte, etwas schrumpelige Oliven, die unter Einwirkung eines Pilzes reifen und ein spezielles Aroma entwickeln. Allerdings geben die Bäume der lokalen Olivensorte nur etwa alle zwei Jahre eine gute Ernte und sind anfällig gegen die Olivenfliege, die etwa seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts auch auf Naxos zu großen Ernteeinbußen führt.

Die lokale Olivensorte, hier auf alten, erodierten Terrassen, bildet große Bäume mit sehr ölreichen Oliven; sie trägt allerdings nicht jedes Jahr.
Heute werden auf Naxos auch eingeführte Sorten angebaut, die allerdings meist einen geringeren Ölgehalt aufweisen. Häufig wird die Sorte „Koroniá“ angebaut, die nur niedrige Bäume ausbildet und deren Oliven klein, aber sehr ertragreich sind: Sie tragen fast jedes Jahr und werden kaum von der Olivenfliege angefallen. Andere Sorten sind vor allem als Speiseoliven geeignet (z.B. die Sorte „Kalamón“).

kleiner, reich tragender Baum der Sorte „Koroniá“
Der unsterbliche Ölbaum
Die meisten kultivierten Sorten werden auf die widerstandsfähige Wilde Olive aufgepfropft. Der Ölbaum wächst sehr langsam und altert von allein praktisch nicht, sondern kann immer wieder ausschlagen. Ölbäume müssen regelmäßig ausgelichtet werden, wenn sie gut tragen sollen. Man kann die Bäume auch oberhalb der Veredelungsstelle gänzlich abschneiden.

sehr alte, hohe Ölbäume

Hier sieht man einen Baum, dessen dicker Stamm oberhalb der Veredelungsstelle gänzlich abgeschnitten worden ist und wieder reicht ausgetrieben hat.
Die alten Bäume werden innen meist durch eine Pilzkrankheit (Fomitiporia punctata) ausgehöhlt; oft zerfällt der ursprüngliche Stamm auf die Dauer völlig. Aus den Wurzeln treiben aber immer wieder Schösslinge aus, die zu einem Kranz neuer Stämme anwachsen können; das Alter des Baumes ist dann höchstens noch am Umfang des Wurzelstocks abzuschätzen. Die Olive ist wirklich ein erstaunlicher Baum!

Der Stamm der Olive bildet solche merkwürdigen Skulpturen aus.

Dieser Stamm beginnt sich auszuhöhlen.

Ein typischer hohler Stamm; der Stammfuß ist durch Erosion freigelegt.

Vom ursprünglichen Stamm ist hier fast nichts übrig; der Baum hat aber von seiner Lebenskraft nichts eingebüßt.

Aus dem Wurzelstock des Ölbaumes schlagen immer wieder neue Triebe aus, die, wenn sie nicht entfernt werden, zu neuen Stämmen rund um den Hauptstamm heranwachsen.

Hier sieht man einen Baum, bei dem der eigentliche, innere Stamm vollständig entfernt ist und nur die ehemaligen, zu kleinen Stämmen herangewachsenen Wurzeltriebe erhalten sind.

Und schließlich der Methusalem!
siehe auch:
- Oliven und Olivenfliege
- Olivenernte in Agios Dimitris
- Olivenernte in der Tragaia
- Traditionelle Ölmühlen auf Naxos
- Oliven: Tsakistes
- Der größte und älteste Olivenbaum
- Blumenesche
- Breitblättrige Steinlinde
zum Weiterlesen:
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