Chamaephyten: Zwergsträucher
Als Chamaephyten bezeichnet man mehrjährige, oberirdisch überdauernde Pflanzen, die niedriger sind als die Phanerophyten (Sträucher und Bäume): die Grenze zwischen den beiden Formen wird bei einer maximalen Höhe (der Erneuerungsknospen) von einem halben Meter festgelegt.
Auf Naxos kommen etwa 75 Zwergsträucher vor, das heißt ungefähr 8 Prozent der Pflanzenarten sind Chamaephyten. Dieser Anteil wirkt zwar niedrig, ist aber hoch im Vergleich zu den meisten anderen Klimaregionen. Die Zwergsträucher sind ein sehr charakteristischer Bestandteil der Mittelmeerflora. Pflanzengesellschaften, die hauptsächlich aus Zwergsträuchern bestehen, werden Phryganas genannt.
Lebensräume
Die Zwergsträucher finden günstige Lebensbedingungen generell in denselben Lebensräumen wie Phanerophyten (Bäume und große Sträucher), d.h. an allen nicht zu sehr gestörten oder allzu trockenen Standorten. Sie brauchen jedoch ausreichend Licht, d.h. sie können nur an offenen Standorten dauerhaft wachsen; in Wäldern fehlen sie weitgehend. Entsprechend kommen Zwergsträucher auf Naxos vor allem dort vor, wo keine Bäume wachsen, oder wo sie so locker stehen, dass genug Platz auch für kleinere Pflanzen bleibt, insbesondere auf wasserundurchlässigen, schwer durchwurzelbaren Untergründen wie Schiefer und Granit. Phryganas sind charakteristisch für die trockenen, niedrigen Lagen der Insel, aber auch in der Bergregion kommen sie häufig vor.
Diese blühende Phrygana (im Vordergrund) wächst in den warmen, meernahen Gebieten von Naxos.
Auch in den Bergen von Naxos kommen von Zwergsträuchern dominierte Vegetationsformen vor wie hier die Heide auf dem ursprünglich bewaldeten Gipfel des Kóronos-Berges.
Phrygana mit Dorniger Bibernelle auf dem Zeus-Berg
Strategie
Wie die Phanerophyten (Bäume und große Sträucher) bilden die Zwergsträucher dauerhafte, mehrjährige oberirdische Teile. Dabei haben die Sträucher und Zwergsträucher allerdings eine deutlich andere Strategie eingeschlagen als die Bäume. Im Gegensatz zu den Bäumen, die entweder immergrün sind (Anpassung an trockene Klimazonen) oder ihre Blätter im Winter verlieren (eine Anpassung an die kalten Winter der gemäßigten Regionen), werfen viele Sträucher des Mittelmeergebietes ihre Blätter im Sommer ab, d.h. sie treiben nach den ersten starken Regenfällen im Lauf des Herbstes aus und verlieren ihre Blätter während der langen Sommertrockenheit. Während diese für das Mittelmeerklima sehr günstige Strategie sich bei einer ganzen Reihe von Sträuchern herausgebildet hat, vor allem bei den Ginstern, den Zistrosen, vielen Lippenblütlern und manchen strauchförmigen Korbblütlern, tritt sie bei keinen Bäumen auf, was vielleicht daran liegt, dass es das Mittelmeerklima noch nicht lange genug gibt, als dass diese Anpassung unter den Bäumen mit ihrem weit längeren Generationszyklus hätte entstehen können.
Die Sträucher bilden ein flachgründiges, weit ausgebreitetes Wurzelsystem aus, das die Regenfälle im Winter effektiv ausnutzen kann, treiben aber keine Wurzeln in größere Tiefe. Sie können auf flachen, nicht tief durchwurzelbaren, im Sommer austrocknenden Böden gedeihen, auf denen Bäume sich nicht halten können.
grüne Phrygana im Frühling
Im Sommer sind die Blätter der Sträucher vertrocknet.
Phrygana über Granit. Auf dem harten, wasserundurchlässigen Gestein können keine Bäume wachsen: Obwohl es hier im Winter besonders feucht ist, trocknet der flache Boden im Sommer ganz aus.
Als Schutz gegen die Beweidung, der alle niedrig wachsenden Pflanzen ausgesetzt sind, bilden manche Arten ein dichtes Dornengerüst aus; die übrigen versuchen die Weidetiere durch eine starke Behaarung oder durch einen hohen Gehalt an ätherischen Ölen abzuschrecken.
Die Dornige Bibernelle bildet ein dichtes Geflecht aus spitzen Dornen aus. Hier sieht man wie im Schutz der Dornen im Herbst die neuen Blätter treiben.
Um sich an den Standorten, an denen auch Bäume wachsen können, gegen diese durchsetzen zu können, begünstigen viele Sträucher Feuer, d.h. sie sind durch ihr dichtes Zweiggerüst und durch einen hohen Gehalt an ätherischen Ölen extrem leicht brennbar. Nach einem Feuer samen sich viele Arten sehr schnell wieder aus und wachsen zügig in die Höhe; im Lauf der Zeit werden sie dann nach und nach wieder durch die langsamer wachsenden Bäume verdrängt.
Die Zistrosen gehören aufgrund ihres hohen Harzgehaltes zu den besonders brennbaren Pflanzen.
Nach Feuern keimen sie sehr schnell aus und können sich so gegenüber Bäumen durchsetzen.
Pflanzenfamilien
Die meisten der auf Naxos vorkommenden Zwergsträucher gehören zu den Lippenblütlern. Auch die Zistrosen– und die Johanniskrautgewächse sowie die Strandflieder sind überwiegend Zwergsträucher. Die meisten Heidegewächse wachsen als Zwergsträucher (auf Naxos kommen auch eine strauch- und eine baumförmige Art vor). Eine ganze Reihe an Korbblütlern wachsen chamaephytisch. Unter den Schmetterlingsblütlern finden sich vor allem wichtige Sträucher (also Phanerophyten), die in der Phrygana wachsen (die Ginster), aber auch einige Zwergsträucher. Aber auch in anderen Pflanzenfamilien treten chamaephytische Arten auf, so unter den Euphorbien und den Kreuzblütlern, sowie (um nur die wichtigsten zu nennen) unter den Rosen-, Braunwurz-, Nelken-, Seidenpflanzen– und Windengewächsen usw. Schließlich sind auch der Kapernstrauch und die Aleppo-Raute Zwergsträucher.
Die Ölbaumblättrige Winde kann als verholzender Zwergstrauch wachsen.
Die ausdauernde Nelke Dianthus cinnamomeus ist auf manchen Ägäisinseln endemisch.
Der Strandflieder Limonium roridum wächst bei uns an der Felsküste. Er bildet recht große, reichverzweigte Sträucher.
Der auf Naxos endemische Schöterich Erysimum naxense wächst als einer der wenigen Kreuzblütler ebenfalls mehrjährig oberirdisch und muss als Zwergstrauch gelten.
Auch unter den Braunwurzen gibt es chamaephytische Arten wie hier Scrophularia heterophylla.
Der zu den Seidenpflanzengewächsen gehörende Hundswürger bildet einen niedrigen Strauch mit herzförmigen Blättern.
Der auf Naxos eher seltene Kaperstrauch kommt auf Küstenfelsen mit Salzeinfluss vor.
Wuchsform
Die typischste Wuchsform der Chamaephyten ist der dichte, halbkugelförmige Strauch. Viele Arten zeigen jedoch auch eine lockere, offene Wuchsform.
Das Arabische Nadelröschen ist einer der locker wachsenden, nicht polsterförmigen Zwergsträucher. Um einen ausreichenden Schutz vor Sonne und Wind zu gewährleisten, wächst es häufig dicht an anderen Sträuchern.
Hier wächst ein nicht-dorniger, locker wachsender Zwergstrauch (Teucrium divaricatum) im Schutz eines dichten, dornigen Ginsters (Genista acanthocalda).
Auch die kleine Nervige Bergminze zählt zu den Zwergsträuchern, da ihre oberirdischen Teile ausdauernd sind, auch wenn man sie auf den ersten Blick kaum als “Strauch” bezeichnen würde.
Anthyllis hermanniae besitzt dagegen eine “normale” Strauchform.
Die Thymbra-Bergminze zeigt einen kompakten, polsterförmigen Wuchs, der die Schaffung eines geschützten “Binnenklimas” im Innern des Strauches bewirkt, wodurch die Wasserverluste durch Verdunstung effektiv herabgesetzt werden.
Anpassungen an Trockenheit und Beweidung
Da ihre oberirdischen Teile mehrjährig sind, mussten die Zwergsträucher des Mittelmeergebietes besonders effektive Anpassungen entwickeln, mit deren Hilfe sie die lange Sommertrockenheit überstehen können. Ein weiteres Problem für die Zwergsträucher ist, dass sie als niedrige ausdauernde Pflanzen ganzjährig der Beweidung ausgesetzt sind. Alle Arten haben deswegen besonders effektive Schutzmaßnahmen gegen Fraß entwickelt und werden tatsächlich kaum von den Schafen und Ziegen gefressen. Viele der Anpassungen der Zwergsträucher schützen die Pflanzen gleichzeitig sowohl vor Verdunstung als auch vor Beweidung.
1. Blattabwurf bzw. weitgehendes Vertrocknen der Blätter
Zwergsträucher können nicht so tiefe Wurzeln bilden wie die Bäume, die auf durchwurzelbaren Böden auch während der Sommertrockenheit in den tiefen Bodenschichten noch ausreichend Wasser erreichen können. Im Gegensatz zu den Bäumen haben die Zwergsträucher und die Sträucher die Fähigkeit entwickelt, ihre Blätter im Sommer abzuwerfen, um die Verdunstung zu reduzieren; sie legen also im Sommer eine “Trockenpause” ein.
Die Zistrosen gehören zu den Pflanzen, deren Blätter im Lauf des Sommers verdorren. Hier eine Montpellier-Zistrose im Frühling.
Im Sommer rollen sich die Blätter der Zistrose zusammen und werden braun, bis sie schließlich abfallen.
2. Blattreduktion, steife Blätter
Natürlich gibt es auch eine ganze Reihe an Zwergsträuchern, die ihre Blätter im Sommer nicht abwerfen. Die Blätter dieser Arten sind stets sehr klein und steif mit einer dicken Cuticula (schützende Wachsschicht auf der Oberfläche) und Epidermis (äußere Zellschicht). Eine ganze Reihe von Arten besitzt nadel- oder fast schuppenförmige Blätter. Bei vielen Arten rollen sich die Blätter bei Trockenheit ein, wodurch die mit den Stomata (kleine Öffnungen für den Gasaustausch) besetzte Unterseite besonders geschützt wird. Manchmal sind die Stomata zusätzlich in die Epidermis eingesenkt. Die kleinen, harten Blätter sind außerdem auch kaum attraktiv für die Weidetiere.
Obwohl der Klippenziest an sehr trockenen Standorten gedeiht, sind seine Blätter recht zart und zeigen als Anpassungen an die Trockenheit nur ihre eher kleine Größe und eine glänzende Oberfläche. Den trockenen Sommer übersteht der Klippenziest dadurch, dass er seine Blätter abwirft.
Die Bergminzen-Art Micromeria juliana behält ihre Blätter auch im Sommer; diese sind fast nadelförmig und rollen sich bei Trockenheit zusammen.
Auch das Krähenbeeren-Johanniskraut besitzt ausdauernde, nadelige Bätter.
Die auf Naxos vorkommende Heide Erica manipuliflora wirft ihre Blätter ebenfalls nicht ab; diese sind fast schuppenförmig ausgebildet.
3. Behaarung
Eine Reihe von Zwergstrauch-Arten ist dicht behaart, wodurch ebenfalls die Verdunstung reduziert wird, indem um die Blätter herum eine geschützte, stille, feuchte Luftschicht geschaffen wird. Die Behaarung ebenso wie eine dicke, oft glänzende (reflektierende) Cuticula schützt die Pflanze außerdem auch vor zu starker Sonneneinstrahlung. Auch die Weidetiere fressen dicht behaarte Blätter nicht gern.
Die Dreihörnige Levkoje gehört zu den dicht behaarten Pflanzen.
Der Kopfige Gamander ist ebenfalls fein silbrig behaart, wodurch die Verdunstung reduziert und die Sonnenstrahlung reflektiert wird. Seine Blätter sind außerdem sehr klein.
Auch die Blätter des Schopf-Lavendels weisen eine dichte, filzige Behaarung auf.
4. Sukkulenz
Bei einigen Zwergstrauch-Arten sind die Blätter sukkulent. Diese Art der Anpassung an die Trockenheit tritt im Mittelmeergebiet eher selten auf; die meisten sukkulenten Artn wachsen an Stränden oder salzigen Standorten. Durch Schleimstoffe, die in die fleischigen Blätter eingelagert sind, wird die osmotische Saugkraft der sukkulenten Pflanzen erhöht, so dass sie auch aus trockenem oder salzhaltigem Boden noch Wasser aufnehmen können. Außerdem wird in den sukkulenten Pflanzenteilen Wasser gespeichert.
Der Meerfenchel besitzt sukkulente Blätter.
5. Ätherische Öle
Eine weitere Anpassung an die Trockenheit ist ein hoher Gehalt an ätherischen Ölen: Die Pflanze hüllt sich in eine “Dunstglocke”, die eine Art Glashauseffekt bewirkt, wodurch die Verdunstung reduziert wird. Der hohe Gehalt an ätherischen Ölen schreckt auch die weidenden Tiere ab; viele Arten sind sogar giftig, so dass sie kaum oder gar nicht gefressen werden.
Viele Zwergsträucher, wie hier der Griechische Dost, sind stark aromatisch.
Der Kopf-Thymian besitzt sehr kleine Blätter. Auch er gehört zu den stark aromatischen Zwergsträuchern, die sich in eine schützende “Dunstglocke” aus ätherischen Ölen hüllen.
Eine weitere sehr aromatische Art ist der Griechische Salbei.
Die Aleppo-Raute wird von Weidetieren wegen ihres unangenehmen Geruches und ihrer Giftigkeit verschmäht.
Das Große Immergrün besitzt recht große und flache Blätter. Zum Schutz gegen Verdunstung sind sie relativ steif und ledrig; trotzdem kann das Immergrün auf Naxos nur an feuchten Standorten gedeihen. Vor Beweidung schützt es sich wie der verwandte Oleander durch seine giftigen Inhaltsstoffe.
6. Dornen
Der wichtigste Beweidungsschutz ist natürlich die Ausbildung von Dornen oder Stacheln. Unter den auf Naxos vorkommenden Zwergsträuchern ist allerdings nur ein recht geringer Anteil dornig (Stacheln treten gar nicht auf). Bei den dornigen Arten werden je die letztjährigen Triebe in Dornen umgewandelt. Charakteristisch für diese “Kugelsträucher” ist der Verzweigungstypus: Es bilden sich stets zwei neue, gleichstarke Triebe, die im nächsten Jahr weiter wachsen, so dass an den Verzweigungen je Winkel von etwa 120° entstehen. Auf diese Weise wird ein kompaktes, undurchdringliches Gerüst gebildet, in dessen Schutz die neuen Blätter und Blüten treiben.
Die Dornige Wegwarte bildet ein Dornengerüst aus den Trieben des Vorjahrs, das die neuen Blätter schützt.
Die Dornige Flockenblume im Frühjahr: Sie besitzt grüne Triebe und Stängel und sehr schmale, unauffällige Blätter.
Im Herbst sind die Blätter verschwunden, die Stängel braun geworden und die Triebe zu Dornen umgewandelt. Man sieht die vertrockneten Blütenstände im Schutz des Dornengerüstes.
Jedes Jahr bildet sich auf diese Weise am Strauch eine neue “Schicht” an verholzten Trieben. Bei den Sträuchern der Dornigen Flockenblume ist das besonders gut zu erkennen.
Verbreitungsstrategien
Die meisten Zwergsträucher bilden ihre Früchte als Kapseln aus, die die reifen Samen bei trockenem Wetter ausstreuen. Oft werden die Samen oder Früchte durch Ameisen verschleppt, eine sehr häufige Verbreitungsart in der Phrygana. Die Korbblütler bilden Flugfrüchte aus; die Dornige Bibernelle beerenähnliche Früchte, die von Vögeln gefressen werden und außerdem als Klettfrüchte verbreitet werden können. Die Ginsterarten bilden Hülsen mit großen, nährstoffreichen Samen aus, die bei Trockenheit explosionsartig aufspringen, so dass die Samen weit fortgeschleudert werden.
Das Heidekraut bildet kleine Kapseln mit winzigen Samen, die vom Wind verweht werden.
Die Hülsen des Behaarten Dornginsters springen bei Trockenheit plötzlich auf, so dass die Samen weit fortgeschleudert werden.
Der Große Klippenziest gehört zu den vielen Pflanzenarten der Phrygana, deren Früchte bzw. Samen durch Ameisen in ihre Bauten verschleppt und dadurch verbreitet werden (“Myrmekochorie”).
Nutzung
Viele Zwergsträucher sind besonders aromatisch, vor allem die Lippenblütler, von denen viele als Gewürz, für Tee oder als Heilkräuter genutzt werden (Salbei, Oregano, Thymian, Bergminze etc). Aus dem Harz der Kretischen Zistrose hat man früher auf Naxos das sogenannte Labdanum hergestellt, das stark antibakteriell wirkt, das Immunsystem fördernd, für Haut und Magen gut ist und als Gewürz für Backwaren genutzt wurde. Die besonders regelmäßig verzweigte Dornige Bibernelle wurde früher als Polster unter die Trinkwasser-Amphoren gelegt, damit man sie einfach kippen konnte, um sich Wasser einzuschütten.
Das stark aromatische Harz der Kretischen Zistrose, das als äußerst wirksames Heilmittel für viele Krankheiten genutzt werden kann, wurde früher auch auf Naxos gesammelt. Sowohl die Knospen und Triebspitzen als auch die Blätter sondern bei dieser Art an heißen Tagen so viel Harz ab, dass sie richtig klebrig sind.
Außer dem allbekannten Oregano und Thymian kann man auch die Thymbra-Bergminze (gr. throumbi) hervorragend als Gewürz verwenden.
nächster Artikel: Geophyten (Zwiebel-, Knollen- und Rhizompflanzen)
weitere Lebensformen:
- Phanerophyten (Bäume und Sträucher)
- Hemikryptophyten (Staudenpflanzen)
- Therophyten (Einjährige Pflanzen)
- Hydrophyten (Wasserpflanzen)
zurück: Das Lebensformenspektrum von Naxos
siehe auch: