Skip to main content

Die Kulturlandschaft

Bei der Landschaft von Naxos handelt es sich um eine seit Jahrtausenden vom Menschen beeinflusste Kulturlandschaft. In früheren Zeiten waren sämtliche bebaubaren Flächen der Insel kultiviert, um die als Selbstversorger lebende Bevölkerung zu ernähren. Heute ist nur noch etwa ein Viertel der Insel bewirtschaftet, vor allem die Schwemmebenen der Westküsten, die Ebenen um Sangrí, die Tragaía und die Hochtäler um die Bergdörfer; aber die nicht kultivierte Landfläche der Insel wird fast überall als Weidegebiet für Ziegen und Schafe genutzt. Somit ist die Landschaft auf der gesamten Insel durch die menschliche Nutzung beeinflusst. Während die als Weidefläche genutzten Gebiete oft durch Überweidung stark beeinträchtig sind, lässt die überwiegend extensive Bewirtschaftung des Kulturlandes meist viel Raum für natürlichen Bewuchs, und die alten Terrassen, Ölbaumhaine und Weinberge beherbergen die vielfältigsten und artenreichsten Biotope der Insel.

Die natürliche Vegetation von Naxos

Aufgrund der intensiven, Jahrtausende alten Nutzung ist die ursprüngliche Vegetation der Insel schwer zu rekonstruieren. Abgesehen vom Einfluss des Menschen hat sich die Vegetation des Mittelmeergebietes im Lauf der letzten Jahrtausende auch durch natürliche Klimaveränderungen gewandelt. Die typische mediterrane Vegetation hat sich ebenso wie das mediterrane Klima erst nach dem Ende der letzten Eiszeit vor etwa 10.000 Jahren herausgebildet.

Sicher waren die Kykladen vor der Nutzung durch den Menschen stärker bewaldet als heute, aber man kann kaum von einer geschlossenen Bewaldung ausgehen, da die Inseln von zahlreichen Pflanzenfressern wie diversen Nagetieren, Hirschen, Pferden, Flusspferden und Zwergelefanten besiedelt waren, während größere Raubtiere fehlten. Pollenuntersuchungen zeigen, dass auch vor der Besiedlung durch den Menschen und bevor Nutzpflanzen in nennenswerter Menge auftraten, krautige Pflanzen von offenen Standorten sowie Beweidungszeiger einen großen Anteil der Vegetation stellten. Die am weitesten verbreiteten Pflanzengesellschaften zur Zeit der Besiedlung durch den Menschen waren vermutlich Hartlaubwälder, untermischt mit heute in Mitteleuropa verbreiteten laubabwerfenden Bäumen, die sich im Mittelmeergebiet aus den Eiszeiten erhaltenen hatten und die heute in den Auwäldern der Insel erhalten sind. Außerdem scheint es an den trockeneren Standorten Savannen-ähnliche Vegetationsformen gegeben zu haben.

Die Ankunft des Menschen

Eine dauerhafte Anwesenheit des Menschen auf den Kykladen ist ab etwa 8.000 v. Chr. nachgewiesen (die ersten Besuche durch Menschen sind nach neueren Erkenntnissen schon in die Alt- und Mittelsteinzeit zu datieren). Die Besiedlung der Insel fiel also etwa mit dem Ende der letzten Eiszeit zusammen, so dass der Einfluss der natürlichen Klimaänderungen und der beginnenden Nutzung durch den Menschen auf die Vegetation nur schwer zu trennen sind.

In der Jungsteinzeit (ab etwa 5000 v. Chr.) war der Effekt der Menschen auf die Landschaft der Insel sicher noch sehr gering. Wild gesammelte Gemüse und Früchte sowie Meeresfrüchte stellten sehr lange einen großen Teil der Nahrung der Menschen. Schon in der Jungsteinzeit wurden jedoch die ersten Pflanzen wie Getreide und Hülsenfrüchte angebaut und Rinder, Schweine, Schafe und Ziegen als Haustiere gehalten.

Während der Bronzezeit (3200 bis 1100 v. Chr.) wurden vor allem die zugänglicheren, fruchtbaren Küstengebiete von Naxos zunehmend besiedelt. Zunächst bestand die Landnutzung nur in einem sehr einfachen Feldbau, aber im Lauf der Zeit nahmen die Menschen allmählich mehr Land in Nutzung, Wälder wurden gefällt oder abgebrannt und mehr Pflanzenarten kultiviert, so auch der Ölbaum und der Weinstock.

Trotzdem war während der Steinzeit und den prähistorischen Epochen (Kykladenkultur, minoische und mykenische Zeit) schon allein aufgrund der sehr niedrigen Bevölkerungsdichte der Einfluss des Menschen auf die natürliche Vegetation noch gering.

Landnutzung und Landwirtschaft im Altertum

Im Altertum stieg die Bevölkerung der Insel dagegen stark an. Während der archaischen Epoche (7. und 6. Jhd. v. Chr.) lebten und ernährten sich auf Naxos vermutlich bis zu 10mal so viel Menschen wie heute, was nur duch eine ausgedehnte Landwirtschaft möglich war. Antike Berichte bezeugen, dass Naxos zu dieser Zeit fast durchgehend bewirtschaftet war, so dass sich die ursprüngliche wilde Vegetation wohl nur an abgelegenen, für die Landwirtschaft ungeeigneten Stellen halten konnte. Die Menschen legten Gemüsebeete und Getreidefelder an und pflanzten Ölbaumhaine und Weinberge, die alle schon ähnlich bewirtschaftet wurden wie es auch in der traditionellen Selbstversorger-Landwirtschaft der letzten Jahrhunderte noch üblich war.

Die verbleibenden Wälder der Insel wurden sicher ebenfalls genutzt, z.B. für die Schweinemast und die Gewinnung von Bauholz für Möbel, Häuser und Schiffe. Für Brennmaterial in Form von Holz und Holzkohle wurden die Bäume meist nicht gänzlich abgeholzt, sondern beschnitten; Bäume und Büsche mit dicken Stubben, die auf diese Praxis zurückgehen, sind noch heute überall zu finden. Die Backöfen, die Brennöfen für Tonwaren und die Öfen zur Gewinnung von Kalk wurden zumindest in jüngerer Zeit hauptsächlich mit dem sehr leicht entflammbaren und unter großer Energiefreisetzung brennenden Dornigen Ginster (Genista acanthoclada) befeuert.

Mittelalter und Neuzeit

In den folgenden Jahrhunderten änderte sich das Bild wieder: Die Bevölkerung von Naxos wurde zeitweise durch Piratenüberfälle stark dezimiert. Die küstennahen Gebiete der Insel wurden während des Mittelalters weitgehend verlassen und die natürliche Vegetation breitete sich wieder aus. In den Wäldern und Macchien in Südnaxos lebten Hirsche, die von den venezianischen Herren der Insel gejagt wurden. Auch die Berge waren nun wieder mit Steineichen und Kastanien bewaldet.

Die naxiotische Kulturlandschaft hat im Mittelalter vermutlich ähnlich ausgesehen wie in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts, als die traditionelle Selbstversorgerwirtschaft noch intakt war. Wir können davon ausgehen, dass die Hänge der Insel seit Jahrhunderten, wenn nicht Jahrtausenden auf dieselbe Weise terrassiert wurden und die Beete und Obstgärten auf die gleiche Art bewässert. Die landwirtschaftlichen Tätigkeiten und Techniken der Nutzung von Getreide, Öl und Wein und die Tierhaltung und Käseherstellung haben sich vermutlich seit dem Mittelalter bis ins letzte Jahrhundert nur wenig geändert. Auch die Architektur der Dörfer und Häuser ist vermutlich über viele Jahrhunderte fast gleich geblieben.

Dennoch kam es natürlich auch zu einigen Änderungen. So sind im Mittelalter die Zitrusfrüchte nach Griechenland gekommen (die auch auf Naxos kultivierte Kedratzitrone, aus der der bekannte Likör kítron hergestellt wird, erreichte Griechenland schon kurz nach Christi Geburt). Die Herstellung von Seide wurde vermutlich in der venezianischen Zeit auf Naxos eingeführt; den Maulbeerbaum, der als Futterpflanze für die Seidenraupen benötigt wurde, hat es dagegen vielleicht schon vorher auf der Insel gegeben. Manche Kulturpflanzen wie Tabak, Baumwolle und Reis haben sich auf Naxos im Unterschied zum griechischen Festland anscheinend nicht etabliert. Die Kartoffel und die Tomate und eine Reihe anderer Gemüse- und Obstsorten sind erst in der Neuzeit eingeführt worden.

Das Ende der traditionellen Selbstversorger-Wirtschaft

Etwa ab den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts ist die traditionelle Selbstversorger-Wirtschaft auf Naxos langsam zu Ende gegangen. Seit dem Zweiten Weltkrieg sind mehr und mehr Menschen auf der Suche nach einem einfacheren Leben aus den Dörfern in die Hauptstadt der Insel und nach Athen ausgewandert. Entsprechend wurde die Bewirtschaftung insbesondere der abgelegeneren Landstriche der Insel allmählich aufgegeben.

Im Lauf der Jahrzehnte erreichten neue, effektivere Methoden der Bewirtschaftung und technische Hilfsmittel aller Art die Insel, und die alte traditionelle Art der Bewirtschaftung wurde immer mehr verdrängt. Dieser Prozess hat sich über viele Jahre hingezogen; noch bis in die Neunziger Jahre hat es in vielen abgelegenen Gegenden der Insel beispielsweise keinen Strom gegeben (so auch in Azalás).

Nach und nach hat sich im Zuge dieser Entwicklungen auch die Kulturlandschaft verändert, vor allem durch das Bauen von Straßen und eine intensivere Nutzung der leicht zu erreichenden Gebiete mit der Anwendung von Traktoren und Gartenfräsen. In den nicht mehr bewirtschafteten Gegenden führt die Vernachlässigung und der Verfall der Terrassen zu einer zunehmenden Bodenerosion. Überwiegend von Ginster bewachsene Flächen, die heute große Gebiete der Insel einnehmen, haben sich erst etabliert, seit der Ginster nicht mehr als Brennmaterial geerntet wird. Dadurch und da außerdem immer mehr Land nur als Ziegenweide genutzt wird, haben auch die (von den Hirten gelegten) Brände deutlich zugenommen. Auf der anderen Seite hat die Aufgabe der Bewirtschaftung in vielen Gegenden zu einer Zunahme des Waldbewuchses geführt, wie man durch den Vergleich mit alten Fotos leicht feststellen kann.

Eingeführte und eingeschleppte Pflanzenarten

Der Einfluss des Menschen auf die Vegetation von Naxos bestand nicht nur in der Zerstörung der ursprünglichen Pflanzendecke. Vermutlich schon während der Antike sowie im Mittelalter wurden viele Arten auf Naxos eingeführt und gezielt gepflanzt, darunter eine Reihe von Baumarten wie der Johannisbrotbaum, der Maulbeerbaum und die Wallonen-Eiche, die noch heute in ihrem Vorkommen an die Nähe der menschlichen Siedlungen gebunden sind. Die Olive wächst auf Naxos dagegen wild, ebenso vermutlich die Feige.

Unter den zahlreichen eingeführten Pflanzenarten sind eine ganze Reihe mit Absicht eingeführt worden wie zum Beispiel der Feigenkaktus, die Agaven und das Riesenschilf. Andere Arten sind versehentlich eingeschleppt worden, vor allem viele Ackerwildkräuter. Die größte Bedeutung unter den eingeschleppten Arten hat der Nickende Sauerklee, der ursprünglich aus Südafrika stammt und sich durch ausschließlich vegetative Vermehrung hartnäckig über große Gebiete vor allem in Olivenhainen ausgebreitet hat und kaum wieder auszurotten ist.

Für Kreta wird geschätzt, dass ein Drittel der vorkommenden Pflanzenarten durch den Menschen eingeführt oder eingeschleppt wurde. Für Naxos kann man von einem ähnlichen Anteil ausgehen.