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Naxos unter türkischer Oberherrschaft

Der letzte Herzog der Ägäis: Joseph Nasi

Im Jahr 1566 wurde der letzte venezianische Herzog von Naxos, Jakob Crispi, von den Türken, denen er seit den Überfällen durch den türkischen Korsar und Flottenadmiral Barbarossa im Jahr 1537 tributpflichtig geworden war, abgesetzt und inhaftiert. Der türkische Sultan Selim II ernannte einen ehemals aus Portugal stammenden Juden namens Joseph Nasi zum Herzog der Ägäis. Dieser war ein sehr reicher und politisch ambitionierter Händler und Bankier – wohl der politisch einflussreichste Jude seiner Zeit. Nasi kam nur für sehr kurze Zeit auf die Insel: Er ließ die Regierung durch einen Spanier namens Francesco Coronello ausführen, der ebenfalls jüdischer Herkunft war, jedoch das Christentum angenommen hatte, so dass er den Wohlgefallen der katholischen Familien der Insel fand; aber auch von den orthodoxen Griechen der Insel wurde er akzeptiert und erwies sich überhaupt als beliebtester „Regent“ der Geschichte des Herzogtums.

Der Herzog Joseph Nasi erwirkte, unterstützt von der Frau des Sultans, Cecilia Venier-Baffo, einer durch den türkischen Piraten Barbarossa entführten katholischen Adelstochter von Paros, dass sich keine Türken auf Naxos ansiedeln durften, so dass sich die osmanische Oberherrschaft auf der Insel vergleichsweise wenig auswirkte. Den Naxioten wurden manche Freiheiten zugestattet, z.B. durften sie abends noch mit einer Laterne durch die Gegend laufen, mit Einschränkungen ihre Religion ausüben und ihren Besitz vererben. Auf der anderen Seite blieb im Herzogtum durch diese Ausnahmestellung das Feudalsystem auch während der osmanischen Oberherrschaft weiter erhalten, anstatt dass die Dörfer, wie im Osmanischen Rech üblich, von Älstestenräten geleitet wurden. Joseph Nasi starb im Jahr 1579; bald danach wurde das Herzogtum der Ägäis aufgelöst und Naxos wurde direkt ins Osmanische Reich eingegliedert.

Naxos im Osmanischen Reich

Auch während der folgenden zwei Jahrhunderte bemühten sich die Griechen weiter, ihren katholischen Herren mehr Rechte abzustreiten. Nach und nach konnten sie einige Erfolge erzielen, z.B. mussten sie keine Zwangsarbeit mehr in den Schmirgelminen leisten, die zuvor den venezianischen Herren gehört hatte, aber nun zur osmanischen Regierung übergingen, und sie erreichten es, dass auf Naxos kein paidomázoma durchgeführt wurde (zwangsweise Rekrutierung von Knaben). Im Jahr 1621 wurde das Feudalsystem auf Naxos offiziell abgeschafft. Tatsächlich blieben die katholischen Familien aber weiterhin im Besitz der Ländereien und es dauerte noch lang, bis sich die Lage der Bevölkerung verbesserte. Noch im Jahr 1835, d.h. nach der Befreiung Griechenlands, beklagten sich die Bauern von Apiranthos bei einem deutschen Geologen, dass sie zwei Drittel(!) ihrer Ernte an die katholischen Landbesitzer abgeben mussten.

Abgesehen von Reibereien mit der unterdrückten und ausgebeuteten griechischen Bevölkerung mussten sich die katholischen Herren der Insel weiterhin der Überfälle durch Piraten diverser Nationalitäten erwehren, weswegen sie immer noch in befestigten Landhäuser wohnten. Die heute noch erhaltenen venezianischen Wehrtürme der Insel (etwa 60 an der Zahl) stammen überwiegend aus dieser Zeit (17. oder 18. Jhd.).


der venezianische Wehrturm in Chalkí

Abgesehen von ihrer Funktion als Verteidigungsbauten im Falle eines feindlichen Angriffs oder Piratenüberfalls bzw bei einer Auflehnung der Untergebenen dienten die Wehrtürme als landwirtschaftliche und herrschaftliche Zentren der Feudalherren der Insel: Bei oder in vielen Wehrtürmen befanden sich Wassermühlen, Ölmühlen oder Töpferöfen sowie andere Zeugnisse der landwirtschaftlichen Produktion.


Teil der Ölmühle beim Wehrturm von Agiá

Außerdem hatten die Wehrtürme eine repräsentative Funktion und bezeugten eindrucksvoll die Macht und Identität ihrer Besitzer, was den katholischen Adelsfamilien um so wichtiger wurde, je mehr sie im Laufe der türkischen Oberherrschaft verarmten. Westliche Reisende auf der Insel beschreiben die ihnen lächerlich erscheinende Angewohnheit der Feudalherren, bei der Rückkehr im Herbst von ihrer Landresidenz in ihr Herrenhaus im Kastro der Chóra in einem langen Zug in die Stadt einzuziehen, wobei ihre 30 oder 40 griechischen Untergegeben ihnen ihren Hausrat hinterhertragen mussten, eine Pflicht, die den Griechen besonders verhasst war. Ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde der Widerstand der Griechen gegen die Feudalherren organisierter und effektiver, so dass sich schließlich die verarmten katholischen Familien kaum noch aus ihren Wehrtürmen herauswagen konnten. Erst um die Zeit der Befreiung Griechenlands wurde das Feudalrecht der venezianischen Familien endgültig auch in der Praxis beendet; für die katholischen Familien, die nicht aus Venedig stammten, blieben die Vorrechte jedoch weiterhin bestehen.

Russisches Zwischenspiel

Im Jahr 1770 gerieten die Kykladen im Russisch-Türkischen Krieg kurzzeitig unter russische Herrschaft; mit dem Ende des Krieges im Jahr 1774 fielen sie (trotz des Sieges Russlands über das Osmanische Reich) wieder an die Türken. Im russisch-türkischen Friedensvertrag wurde der griechischen Bevölkerung eine Reihe von Rechten zugesprochen, so durften jetzt wieder Kirchen errichtet und die Glocken geläutet werden. Auf dem griechischen Festland hatte die griechische Bevölkerung mit der Unterstützung des ebenfalls orthodoxen Russlands während des Krieges einen Aufstand gegen die Türken begonnen, der jedoch nach anfänglichen Erfolgen niedergeschlagen wurde. Der Niederlage folgten schwere Repressalien, und die Griechen bezahlten teuer für ihre Revolte, auch wenn die Tatsache, dass die Russen im Friedensvertrag einen Zugang zum Schwarzen Meer zugesprochen bekommen hatten, sich im Freiheitskampf der Griechen ab 1821 positiv auswirkte.

Die Bedeutung der Klosterschulen auf den Kykladen

Schon vom Beginn der türkischen Oberherrschaft an genossen die Griechen auf den Kykladen eine größere Freiheit in der Ausübung ihrer Religion als anderswo in Griechenland üblich. Das führte dazu, dass sich im 17. und 18. Jhd. mehrere Orden auf der Insel ansiedelten, die aus anderen Gebieten Griechenlands vertrieben wordne waren – die Jesuiten, die Kapuziner und die Ursulinen. Diese Orden gründeten mehrere Schulen auf der Insel, vor allem für die katholische Bevölkerung (die sehr ungebildet war); später wurden zunehmend auch griechische Kinder zum (allerdings katholischen) Unterricht zugelassen.

Im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen im Russisch-Türkischen Krieg kamen während der russischen Besatzung der Kykladen auch gebildete und aktive orthodoxe Mönche aus anderen Gegenden Griechenlands auf die vergleichsweise sicheren Kykladen, mit dem Ziel, hier den Aufstand der Griechen gegen die türkischen Herrscher vorzubereiten. Auf Naxos ließen sich mehrere Mönche vom Peloponnes in der abgelegenen, unzugänglichen, aber auch fruchtbaren Schlucht nördlich von Kinídaros nieder. Sie errichteten an der altbyzantinischen Kirche Ágios Dimítrios ein kleines Kloster, das etwa 12 Zellen umfasste, und gründeten eine kleine Schule, in der sie (illegal) Kinder aus der Umgebung unterrichteten.


Die kleine, heute verfallene Kirche Ágios Dimítrios stammt aus dem 9. Jahrhundert.

Aber auch andere Griechen begannen sich etwa zur selben Zeit mehr und mehr dafür einzusetzen, dass orthodoxe Schulen gegründet wurden, in denen die griechische Bevölkerung unterrichtet und gebildet und so auf einen Aufstand vorbereitet werden sollte. So gründete der von der Insel Paros stammende Kapitän Níkos Mavrogénis auf den Kykladen vier Schulen (auf Naxos, Mykonos, Andros und Kea). Die Schule auf Naxos wurde als erste gegründet, nämlich im Jahr 1775. An der Gründung beteiligten sich außerdem der Metropolit von Paros und Naxos Ánthemos und der bedeutende und aktive Führer der Versammlung der Dörfer von Naxos Márkos Polítis sowie Abgeordnete der Gemeinde Búrgos in der Chora und Bischöfe benachbarter Inseln. Als Gebäude für die Schule wurde offenbar eine Kirche direkt beim Kloster Ágios Dimítrios errichtet, die dem Heiligen Artemios geweiht wurde. Die Schule war mindestens 25 Jahre lang in Betrieb und brachte mehrere bedeutende Persönlichkeiten der orthodoxen Kirche hervor.


Die große dreischiffige Kirche Ágios Artémios wurde offenbar zu dem Zweck errichtet, als orthodoxe Schule für die griechischen Kinder zu dienen.


die Gründer der Kirche sind auf dem Türsturz verzeichnet.

Márkos Polítis, der Held der Bestrebungen der Naxioten nach Freiheit und Unabhängigkeit sowohl von den Venezianern als auch von den Türken, wurde zu Beginn des 19. Jhds von den Türken gefangen genommen, inhaftiert und hingerichtet. Zwanzig Jahre später begann der lange vorbereitete Aufstand der Griechen gegen die osmanischen Herrscher. Nach vielen Erfolgen und Niederlagen es den Aufständischen schließlich, das griechische Festland und die Ägäischen Inseln zu befreien, mit wesentlicher Unterstützung durch die Europäischen Großmächte, die 1827 in der Schlacht von Navarino die türkische und ägyptische Flotte vernichteten, während Russland im Jahr danach ins Osmanische Reich einmarschierte. Nach der Kapitulation des Sultans wurde im Jahr 1830 bei den Friedensverhandlungen die Errichtung eines griechischen Staates als unabhängiges Königreich beschlossen.

Damit hatten die Griechen nach vielen Jahrhunderten der Fremdherrschaft ihre Freiheit wieder errungen, aber auch die kommenden Jahre und Jahrzehnte waren noch sehr schwierig und die Bevölkerung blieb weitehin größtenteils sehr arm.

Sehenswürdigkeiten aus der Zeit der türkischen Oberherrschaft:

siehe auch:

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