
Veränderungen in der Avifauna von Naxos
Die Ägäis ist mit ihren vielen Inseln, die oft nahe aneinander liegen, so dass sie relativ leicht erreichbar sind, und auf denen überwiegend gleiche Umweltbedingungen herrschen, ein interessantes biogeografisches Studiengebiet. Reine Landtiere wie Eidechsen und andere Reptilien (und viele Pflanzen) können die Meeresstraßen zwischen den Inseln nur schwer überwinden, so dass die Populationen größtenteils isoliert sind. Das führt zu größeren Unterschieden in der Besiedlung der einzelnen Inseln sowie zur geografischen Aufspaltung in Arten oder Unterarten; so kommt beispielsweise die im östlichen Mittelmeergebiet verbreitete Kykladen-Mauereidechse Podarcis erhardii auf einer ganzen Reihe von Ägäisinseln in je einer eigenen Unterart vor (davon 14 auf den Kykladen, teilweise auf sehr kleinen Felseninseln, so der nordwestlichen Insel der Mákares-Inseln).
Wie ist das aber nun bei Vögeln? Vögel sind ja definitiv in der Lage, von einer Insel zur anderen zu fliegen (selbst das Teichhuhn, das man nicht gerade für einen geschickten und ausdauernden Flieger halten würde, zieht auf den Kykladen durch). Wie man erwarten würde, wird die Avifauna der Inseln vor allem durch deren Größe und Vielfalt an Biotopen (Wälder, Feuchtgebiete…) bestimmt: Kleinere Inseln sind oft einen nur von wenigen Arten besiedelt. Eine genauere Untersuchung der Verhältnisse zeigt jedoch zusätzlich einige schwer zu erklärende Unterschiede: So fehlen zum Beispiel die auf Naxos häufigen Arten Nebelkrähe und Zaunammer auf Amorgos, und Buchfink und Seidensänger brüten auf Naxos (im Jahr 1990 von uns neu nachgewiesen – möglicherweise relativ neu eingewandert?), aber nicht auf Paros und Amorgos (jedenfalls im Jahr 1990).
Außerdem zeigt sich, dass die Avifauna weniger konstant ist, als man erwarten würde. Bedauerlicherweise erlöschen manche Brutvorkommen, vor allem von Arten der Feuchtgebiete – so ist zu befürchten, dass auf Naxos Arten wie die Moorente, die Rostgans und der Triel, die an der Lagune beim Flughafen brüteten, heute verschwunden sind. Ab und zu wandern jedoch auch neue Vogelarten ein und erobern eine Insel als Brutgebiet. Leider ist es auch heute noch erstaunlich schwierig, zuverlässige Informationen über die Vogelwelt der Ägäisinseln zu finden. Ich verwende hier vor allem die unten angegebene Arbeit meines Vaters Winfried Scharlau über die Vogelwelt von Kreta und Karpathos sowie von Naxos, Paros und Amorgos (für deren Kartierung im Jahr 1990 ich das erste Mal die Insel besuchte), sowie meine eigenen Beobachtungen von Naxos und Angaben von Nikos Promponas, dem hiermit herzlich gedankt sei.
Alle Fotos im Artikel stammen von Winfried Scharlau.
Die Grasmücken
Auf Naxos kommen vier Grasmücken-Arten vor, von denen eine erst seit wenigen Jahren eingewandert ist. Die Samtkopfgrasmücke ist die häufigste Vogelart der Insel; sie ist überall anzutreffen. Die Weißbartgrasmücke kommt in Gebüschen und Wäldchen vor; sie ist vor allem in den etwas höheren Lagen und im Ostteil der Insel anzutreffen. Die Orpheusgrasmücke ist etwas seltener; sie kommt in kleinen Eichenwäldchen und im Kulturland vor. Die Mönchsgrasmücke schließlich, ein häufiger Durchzügler und Wintergast auf Naxos, hat sich erst seit wenigen Jahren als Brutvogel etabliert; während ich sie vor zwei und drei Jahren gelegentlich bei Sífones und Keramotí singen gehört habe, hat sie sich dieses Jahr auf die ganze Bergregion (Komiakí, Kóronos, Keramotí, Sífones, Apíranthos) ausgebreitet. Sie kommt in Wäldern und in der vegetationsreichen Kulturlandschaft vor. Auch auf Kreta fehlte die Art vor 30 Jahren, während der ersten Brutvogel-Kartierung durch meinen Vater Winfried Scharlau noch; sie hat sich dort jedoch schon früher etabliert als auf Naxos. Für die anderen Inseln der Ägäis kann ich leider keine Daten finden.
Die Samtkopfgrasmücke, der häufigste Vogel auf Naxos, ist an ihrem roten Augenring zu erkennen.
Die Weißbartgrasmücke lebt vor allem in dichteren Gebüschen und Wäldern.
Die Mönchsgrasmücke ist erst in den letzten Jahren auf Naxos eingewandert; inzwischen ist sie recht häufig zu hören.
Die Schwalben
Auf Naxos kommen die Rauchschwalbe, die Rötelschwalbe und die Felsenschwalbe vor. Letztere brütet vereinzelt an steilen Stellen in der Bergregion. Die Rauchschwalbe ist auf Naxos nicht sehr häufig; sie brütet vor allem in der landwirtschaftlich stärker genutzten Region um die Chóra. Interessanterweise breitet sich die Rötelschwalbe auf Naxos aus, eine allgemeine Tendenz in der Ägäis: Während wir sie vor 30 Jahren nur selten gesehen haben, ist sie heute recht regelmäßig anzutreffen. Dagegen fehlt die Mehlschwalbe, die auf manchen Inseln der Ägäis brütet, teilweise an Felsstandorten, nicht wie üblich in Dörfern und Städten (Kreta, Mykonos, Kea, Rhodos…). Auf Kreta scheint die Mehlschwalbe seltener zu werden; auf Paros fanden wir 1993 noch Nester, während die Art 1998 nicht mehr nachzuweisen war.
Die Felsenschwalbe brütet auf Naxos an wenigen Stellen in den Bergen.
Nest der Felsenschwalbe an einem Felsüberhang bei Keramotí
Die Rauchschwalbe kommt vor allem in der Umgebung der Chóra vor.
Die Rötelschwalbe wird in den letzten Jahren auf Naxos deutlich häufiger.
Nest der Rötelschwalbe unter einer Brücke
Die Tauben
Auf Naxos kommen vier Taubenarten vor: die Felsentaube, die Turteltaube, die Türkentaube und die Ringeltaube. Die Felsentaube, der Vorfahr der Haustaube, brütet in Küstenfelsen und kommt zur Nahrungssuche auf die Felder; sie ist an geeigneten Stellen recht häufig zu sehen. Die Turteltaube lebt in Wäldern und Macchie, ist aber eher selten. Die Türkentaube ist ein Neuankömmling: Diese Art stammt ursprünglich aus Asien, breitete sich aber seit etwa 1930 von der Türkei als Kulturfolger über ganz Europa aus (im Jahr 2018 hat sie Island erreicht), ab etwa 1970 auch in großen Teilen Nordamerikas. Trotz der Nähe zur Türkei fehlte die Türkentaube bei unserer ersten Kartierung im Jahr 1990 auf Naxos, während sie auf Paros und Amorgos brütete; auf Kreta ist die Art ab 1985 aufgetaucht. Seitdem und vor allem während der letzten 10 Jahre hat sich die Türkentaube auf Naxos ausgebreitet, erst in der Chóra und der Umgebung, dann zunehmend auch auf der übrigen Insel. Inzwischen ist sie überall häufig, sowohl im Kulturland und in den Dörfern als auch hier und da in der Macchie (besonders in der Nähe von Hirtenhöfen, wo die Ziegen gefüttert werden). Dass die Türkentaube sich auf Naxos erst so spät etabliert hat, liegt meines Erachtens daran, dass sie früher ausgiebig gejagt worden ist. Das Vorkommen der Ringeltaube (bislang ohne Brutnachweis) ist überraschend und neu: Während die Art auf Kreta, Rhodos und Samos vorkommt, war sie auf den Kykladen bislang nicht nachgewiesen. Wir hatten schon vor Jahren zwei Exemplare zur Brutzeit gesehen; und vor zwei Jahren sah und hörte ich Ringeltauben bei Apíranthos, und auch dieses Jahr hörte ich im Juni eine singende Ringeltaube zwischen Moutsoúna und Apíranthos. Im Jahr 1990 fanden wir weiße Eierschalen in einem Wald in der Tragaía, die möglicherweise ebenfalls von der Ringeltaube stammten. Vielleicht ist die Art auf Naxos wegen der Bejagung so heimlich, oder vielleicht brütet sie nur unregelmäßig.
Die Felsentaube brütet in Küstenfelsen.
Die eher seltene Turteltaube kommt vor allem in der Macchie und in Wäldchen vor.
Die Türkentaube ist erst seit wenigen Jahrzehnten auf Naxos eingewandert.
Die Ringeltaube war auf den Kykladen bislang nicht nachgewiesen; sie scheint aber ein seltener und unauffälliger Brutvogel auf der Insel zu sein.
Bienenfresser und Wiedehopf
Die schönen Vogelarten Bienenfresser und Wiedehopf sind häufige und auffällige Durchzieher auf Naxos. Im Jahr 2010 blieb zum ersten Mal ein Paar Bienenfresser auf der Insel und brütete (bei Agiassós); seit wenigen Jahren werden auch Wiedehopfe gelegentlich zur Brutzeit auf der Insel gesehen und gehört (bei Danakós, Moutsoúna, Chóra – ein Brutnachweis steht noch aus).
Der Bienenfresser, ein häufiger und auffälliger Durchzieher, hat im Jahr 2010 das erste Mal auf Naxos gebrütet.
Auch der Wiedehopf ist inzwischen mehrfach außerhalb der Zugzeit nachgewiesen worden, und ich habe ihn auch bei Moutsoúna wiederholt singen gehört. Ein Brutnachweis steht meines Wissens noch aus.
siehe auch: Die Vögel von Naxos