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Der Kykladen-Zwergelefant

Fossilien auf Naxos

Die Insel Naxos bietet zwar eine reiche und vielfältige Natur, aber eines fehlt ihr fast vollständig: Fossilien. Eine ganze Kette von Ereignissen muss ablaufen, damit wir heute Fossilien finden können: Zuerst müssen (tote) Tiere oder Pflanzen von Sedimenten zugeschüttet werden, dann müssen diese auf eine Weise zu Stein werden, bei der die Überreste nicht zerstört werden (ohne zu starke Erhitzung oder Verformung), und schließlich müssen diese Fossilien durch Erosion wieder an die Erdoberfläche gelangen und freigelegt werden.

Was Fossilien aus dem Paläozoikum und Mesozoikum betrifft, so liegt deren Fehlen auf Naxos daran, dass die Gesteine der Insel in der Erdneuzeit (vor allem im Miozän, vor etwa 20 Mio. Jahren) einer intensiven Metamorphose ausgesetzt waren, wodurch die Gesteine umkristallisiert wurden, so dass keine Fossilien erhalten bleiben konnten. Für das Entstehen und den Erhalt jüngerer Fossilien aus der Erdneuzeit finden sich auf Naxos ebenfalls keine günstigen Bedingungen, da die Insel in dieser gesamten Zeit einer starken Heraushebung und Erosion unterworfen war (und auch heute noch ist), so dass das Erosionsmaterial zusammen mit dem Überresten von Tieren und Pflanzen größtenteils nicht auf der Insel abgelagert, sondern ins Meer geschwemmt wurde (bzw. in die jetzt vom Meer überfluteten Ebenen zwischen den heutigen Inseln). Zugängliche Sedimente aus jüngerer Zeit, in denen sich Fossilien hätten bilden und erhalten können, finden sich nur lokal an einigen Torrenten der Insel.

Inseln und Evolution

Inseln stellen ein interessantes Spielfeld der Evolution dar. Die Anzahl der Landtiere, die auf einer Insel vorkommen, hängt im Wesentlichen von zwei Faktoren ab: Wie schwierig die Insel zu erreichen ist (Entfernung vom Festland und eventuelle Verbindung mit diesem in früheren Zeiten), und für was für eine Population sie Lebensraum bietet (abhängig von der Größe der Insel, der Vegetation usw). Die auf einer Insel isolierte Population verändert sich oft im Vergleich zur Mutterpopulation des Festlandes: Eine neue Art entsteht. Wichtig bei der Veränderung des Bestandes sind nicht nur zufällige Abweichungen, sondern auch spezielle Anpassungen an die Bedingungen auf der Insel. Ein bedeutender Faktor für pflanzenfressende Tiere ist die An- oder Abwesenheit von Beutegreifern (“Raubtieren”), die auf kleineren Inseln meist fehlen. Größere Landsäugetiere entwickeln auf Inseln oft Zwergformen: Kleinwüchsige Arten sind besser für das Insel-Umfeld geeignet, während die geringe Größe in der Abwesenheit von Fressfeinden sowie von konkurrierenden Arten keinen Nachteil bedeutet. Kleinere Landsäugetiere entwickeln dagegen oft Riesenformen, da sie einem geringeren Druck durch Beutegreifer ausgesetzt sind.

Die Eiszeiten in der Ägäis

Als “Eiszeiten” (Pleistozän) wird der Zeitabschnitt der Erdgeschichte vor etwa 2,5 Mio. bis 12.000 Jahren bezeichnet. Während dieser Epoche schwankte die Durchschnittstemperatur der Erde stark, wobei sich Kaltzeiten von etwa 100.000 Jahren Dauer mit Warmzeiten von etwa 10.000 Jahren Dauer abwechselten. Infolge der weiträumigen Vereisung sank der Meeresspiegel während der Kaltzeiten deutlich: Große Wassermengen waren in den Eiskappen und Gletschern gebunden.

Auch im Bereich der Ägäis lag der Wasserspiegel während der Kaltzeiten um bis zu 120 Meter niedriger als heute. Das führte dazu, dass die Insel Naxos und die benachbarten Inseln miteinander verbunden waren. Während das Gelände auf den heute aus dem Meer hervorschauenden Ägäisinseln fast überall ziemlich steil und gebirgig ist, liegen zwischen den Inseln ausgedehnte Ebenen mit nur sehr geringem Gefälle, die heute bis etwa 100 m unter dem Meeresspiegel liegen. Diese Ebenen lagen im Pleistozän über lange Zeitabschnitte trocken. Die zentrale Ägäis bot während der Kaltzeiten also ein ganz anderes Bild als heute und stellte einen weitaus günstigeren Lebensraum für größere Säugetier-Arten dar als die heutigen Kykladen. Zur Zeit des niedrigsten Wasserstandes waren vermutlich alle Inseln der Kykladen miteinander verbunden; nur zwischen Andros und dem mit dem Festland verbundenen Euböa verblieb wahrscheinlich ein 10 km breiter Meereskanal.

Die Zwergelefanten des Mittelmeerraumes

Die Elefanten des Pleistozäns und der Neuzeit werden in vier Gattungen eingeordnet: die heute ausgestorbene Gattung Mammuthus, die Gattung Elephas, der der Indische Elefant angehört, die Gattung Loxodonta mit dem Afrikanischen Steppenelefanten und dem Waldelefanten aus den Wäldern Zentralafrikas, sowie eine weitere heute ausgestorbene Gattung, die ursprünglich zu Elephas gerechnet wurde, aber heute als Palaeoloxodon abgetrennt wird.

In Europa lebte im Pleistozän der Europäische Waldelefant (Palaeoloxodon antiquus = Elephas a.). Dieser war eine Art des mediterranen und submediterranen Klimas und drang nur in den Warmzeiten bis nach Mittel- und teilweise Nordeuropa vor (während der Kaltzeiten wurde er dort durch das Wollhaarmammut ersetzt). Er lebte auch in Gebieten des Mittelmeeres, die heute überflutet sind, aber während der Kaltzeiten trockenlagen. Zur Zeit des niedrigsten Wasserstandes drang er auf mehrere Inseln vor, wobei die Tiere teilweise Wasserstraßen von 10 bis 30 km durchschwimmen mussten, was für den großen Elefanten aber möglich gewesen sein sollte. Nachgewiesene und akzeptabel dokumentierte Arten lebten auf den Inseln Sizilien (P. falconeri, P. leonardi, “P. mnaidriensis”), Malta (P. “melitensis”), Kreta (P. creutzburgi), Zypern (P. cypriotes) und Tilos (P. tiliensis). Auf Kreta (das nur durch eine 30 km breite Wasserstraße von der damals mit dem Festland verbundenen Insel Antikythera getrennt war) lebte außerdem eine Zwergform des Mammuts (Mammuthus creticus). Der Zwergelefant der kleinen, in der Nähe von Rhodos gelegenen Insel Tilos überlebte vermutlich bis in die Bronzezeit und wurde aller Wahrscheinlichkeit nach von den Menschen ausgerottet. Alle anderen Arten sind früher ausgestorben; genaue Informationen dazu fehlen uns aber meist. Der Europäische Waldelefant starb vermutlich schon vor etwa 35.000 Jahren aus.

Außer den bisher genannten, besser bekannten Arten (die aber teilweise ebenfalls noch keinen offiziellen wissenschaftlichen Namen erhalten haben), sind auch auf vielen weiteren Ägäisinseln Überreste von Zwergelefanten gefunden worden. So gab es eine bislang nicht benannte Art auf Rhodos und eine Art, die auf den Kykladen vorkam. Diese Zwergelefanten sind jeweils nur durch sehr spärliche Überreste nachgewiesen.

Palaeoloxodon lomolinoi

Vom Zwergelefanten der Kykladen sind nur sehr wenige Skelettreste bekannt. Es gibt zwar Berichte über Funde auf mehreren Inseln der Kykladen (Naxos, Delos, Paros, Milos und Seriphos), aber nur ein einziges dieser Fundstücke, eines von Naxos, ist bis heute erhalten und steht einer wissenschaftlichen Untersuchung zur Verfügung. Es handelt sich um ein Stück eines Kiefers mit den zwei hinteren Backenzähnen, das südlich von Moutsoúna in einem Flusstal namens Trypití gefunden wurde. Der Kykladen-Zwergelefant ist erst letztes Jahr als eigene Art beschrieben worden. Er kam vermutlich auf allen Kykladeninseln vor, die wenigstens zeitweise während der Kaltzeiten des Pleistozäns miteinander verbunden waren: Sicher bildeten Naxos, die kleineren Nachbarinseln und Paros und Antiparos eine gemeinsame, große Insel, die vermutlich zeitweise auch mit Mykonos – Delos – Tinos – Andros verbunden war. Ungesichert ist die Verbindung nach Euböa und damit zum Festland; hier blieb soweit wir wissen ein Meereskanal von 10 km zu überwinden.

Die Fundstelle des Fossils liegt in einem kleinen Torrente (trockenes Flusstal). Am Rand dieses Tals befinden sich eiszeitliche Sedimente, die in einem kleinen See abgelagert wurden, und aus denen das Fossil höchstwahrscheinlich stammt. Im Oktober 2013 waren die Biogeografen Giorgos Lyras (Athen) und Alexandra van der Geer (Athen und Leiden, Niederlande) auf Naxos, um nach weiteren Resten des Skeletts, von dem das Fundstück stammt, zu suchen. Leider hat die Suche keine weiteren Spuren ergeben. Die Art ist nun aber immerhin wissenschaftlich beschrieben worden und hat ihren Namen erhalten: Palaeoloxodon lomolinoi, zu Ehren von Mark Lomolino, einem wichtigen Erforscher der Biogeografie der Inseln.

Trypiti, Naxos, auf der Suche nach dem Kykladen-Zwergelefant
Auf der Suche nach dem Zwergelefanten: Mit Giorgos Lyras und Alexandra van der Geer in Trypití südlich von Moutsoúna im Oktober 2013.

Trypiti, Naxos, auf der Suche nach dem Kykladen-Zwergelefant
Bei den rötlichen Sedimenten, die rechts im Bild zu sehen sind, handelt es sich um eiszeitliche Sedimente, die sich in Seen gebildet haben. Dieses sind die richtigen Ablagerungen für Überreste des Zwergelefanten. Leider konnten trotz gründlicher Suche keine weiteren Teile des Skeletts, von dem das Kieferstück stammt, gefunden werden.

Der Zwergelefant von Naxos erreichte ungefähr ein Zehntel der Masse seines Vorfahrs, des Europäischen Waldelefanten, der mit über 4 m Schulterhöhe und bis zu 11 Tonnen Gewicht eines der größten Rüsseltiere überhaupt war. Paleoloxodon lomolinoi ähnelte somit in der Größe dem Zwergelefanten von Tilos (Schulterhöhe 1,4 m, Gewicht 650 kg). Deutlich größer waren die Elefanten von Kreta; noch kleiner waren die von Zypern (bis 250 kg) und Sizilien (P. falconeri).

Backenzahn des Kykladen-Zwergelefanten Paleoloxodon lomolinoi
das Fundstück aus Trypiti, nach dem der kykladische Zwergelefant beschrieben wurde (das Foto wurde mir freundlicherweise von Giorgos Lyras zur Verfügung gestellt)

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<small>verkleinert dargestelltes Exemplar von <em>Palaeoloxodon lomolinoi</em> mit Mark Lomolino, dem Insel-Biogeografen, nach dem die Art benannt ist (Foto ebenfalls von Giorgos Lyras)</small></p>
<h3>Das Aussterben der großen Pflanzenfresser</h3>
<p><big>N</big>ach den Eiszeiten, als mit steigendem Wasserspiegel die große Kykladen-Insel in die heutigen Inseln zerfiel, starben die großen Pflanzenfresser aufgrund der Zersplitterung in zu kleine, isolierte Populationen nach und nach aus. Zumindest auf der Insel Tilos existierten manche Arten jedoch bis in die Steinzeit hinein, ja bis etwa 3000 v. Chr., als sie offenbar durch den Menschen ausgerottet wurden. Hier sind in Höhlen zahlreiche Skelettreste der genannten Tiere gefunden worden. Aus den Elefantenschädeln mit einem großen Loch in der Mitte des Gesichts – dem Rüsselansatz – erklären sich vermutlich die Sagen über die einäugigen Kyklopen, wie sie beispielsweise in der Odyssee vorkommen.</p>
<p>siehe auch:</p>
<ul>
<li><a href=Die Geologie der Insel Naxos

  • Die geologische Entstehung des Mittelmeeres
  • Die Eiszeiten in Griechenland
  • Die Alt- und Mittelsteinzeit auf Naxos
  • zum Weiterlesen:

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