Falten, Verwerfungen und Scherzonen
Die Insel Naxos ist Teil eines Gebirgszuges, der etwa zur selben Zeit und auf dieselbe Weise entstanden ist wie die Alpen, nämlich durch Faltungen oder durch die Aufschiebung von Deckenstapeln. Um diese Prozesse genauer zu verstehen, muss man die heute an der Erdoberfläche sichtbaren Falten, Verwerfungen und Scherzonen studieren, ein schwieriger Detektivprozess, bei dem man nicht nur große Veränderungen über die Zeit hinweg bedenken und verstehen, sondern auch räumliche Zusammenhänge aus den an der zweidimensionalen Erdoberfläche sichtbaren Strukturen erschließen muss. Ich will hier einen zögerlichen, laienhaften Versuch machen, ein paar Elemente dieser Prozesse in Fotos vorzustellen.
Die Faltungen, Verwerfungen und Überschiebungen, durch die die Gebirge aufgeschichtet worden sind, sind am Verlauf der Schichten der Gesteine zu erkennen. Die meisten Gesteine, aus denen die Insel auf gebaut ist, sind durch Sedimentation im Ozean entstanden. Sie weisen oft eine deutliche Schichtung auf, die sich in der Färbung oder in einer schichtweisen Textur zeigen kann oder in Rissen und Klüften im Gestein, oder darin, dass sich das Gestein selbst schichtenweise ändert (z.B. Wechsel zwischen Schiefer- und Marmorlagen). Um diese Lagen im Gestein und die sie bildenden Prozesse zu beschreiben, werden unterschiedliche Begriffe verwendet. Unter dem Begriff “Schichtung” versteht man im Allgemeinen eine Abfolge von Lagen unterschiedlichen Materials, die auf Veränderungen bei der Sedimentation zurückzuführen ist. Als “Bankung” wird normalerweise eine gut sichtbare Schichtung in einem mehr oder weniger einheitlichen Gestein bezeichnet. Eine “Schieferung” ist eine durch eine Metamorphose entstandene Schichtung in Gestein, das Schiefermineralien enthält. Als “Bänderung” wird eine Schichtung bezeichnet, bei der sich vor allem die Farbe des Gesteins ändert.
1. Schichtung
Eine Schichtung in einem Gestein hat Änderungen des Materials im Verlauf der Sedimentation zur Ursache, wenn beispielsweise abwechselnd kalkhaltige und tonige oder sandige Sedimente abgelagert werden, oder die Korngröße des Materials sich schichtenweise ändert. Eine derartige “echte Schichtung” entsteht während der Sedimentation zunächst in horizontaler Lage. Später wird sie während der gebirgsbildenden Prozesse oft durch tektonische Prozesse verändert: Die ursprünglich horizontalen und parallelen Schichten werden gekippt, verfaltet, durch Brüche in kleine oder große Blöcke zerteilt und teilweise über große Entfernungen verschoben. Anhand der in den Schichten sichtbaren Falten, Verwerfungen und Scherzonen können die Geologen die tektonischen Prozesse rekonstruieren, die die Gebirge in einer Gegend geformt haben.
Wenn man auch hier und da einzelne Aspekte der geologischen Entstehung von Naxos gut erkennen kann, z.B. eine Verwerfung neben einer Straße, ist es doch sehr schwer, ein klares, zusammenhängendes, dreidimensionales Verständnis der geologischen Strukturen und der zeitlichen Abläufe zu entwickeln. Das liegt unter anderem daran, das nur selten Schichten klar und unverändert über größere Bereiche nachzuverfolgen sind. Die Schichten der Gesteine verändern sich auf Naxos fast überall schon im Verlauf von wenigen Hundert Metern: Die Insel wirkt wie ein kleinräumiges Mosaik, das kaum zu einem zusammenhängenden Bild zusammenzufügen ist.
Am Fanári wechseln sich Marmorschichten mit Schieferschichten ab. Diese Schichten resultieren ursprünglich aus Veränderungen im sedimentierenden Material. Auf Naxos bleiben solche Schichten nur selten über größere Strecken konstant, sondern ändern sich ständig z.B. in der Dicke und Struktur oder verschwinden völlig. Entsprechend ist es oft schwierig, eine Faltung oder Verwerfung im Gelände über eine größere Entfernung zu verfolgen.
Bei der Gebirgsbildung werden durch das Zusammenstoßen der Kontinentalplatten deren Sedimentschichten aufeinandergestapelt und verfaltet. In der Ägäisregion haben wir es mit einem Deckengebirge, nicht mit einem Faltengebirge zu tun, da die Decken bei der Orogenese großflächig übereinander geschoben, aber größtenteils nur relativ wenig verfaltet wurden. Auch diese gut zu erkennenden Schichten liegen allerdings heute nicht mehr in ihrer ursprünglichen Lage, sondern sind bei der Gebirgsbildung zumindest etwas gekippt worden.
Auf den Moutsoúna vorgelagerten Mákares-Inseln stehen wenig metamorphisierte Sandsteine der Oberen Kykladen-Decke an, in denen die Schichtung bzw. Bankung ihrer Sedimente fast noch in ihrer ursprünglichen Form und horizontalen Lage erhalten sind.
Die ganze Schichtenfolge liegt heute leicht gekippt. Ihre glatte Oberfläche entspricht mehr oder weniger der ehemaligen Sedimentationsfläche.
Auch die Decken der Pindos-Einheit, die im östlichen Naxos anstehen, sind nur wenig verfaltet worden. Bei der Herauswölbung der Mitte der Insel wurden sie gekippt, so dass sie heute in einem leichten Winkel nach Osten einfallen.
In vielen Gebieten der Insel kann man gut den Verlauf der wenig bewachsenen, weißen Schichten von Marmor zwischen dicht bewachsenen, grünen Schichten aus Schiefergestein verfolgen. An der Straße von Apíranthos nach Moutsoúna sieht man, dass die Schichten generell etwas steiler nach (Süd-)Osten einfallen als die Oberfläche der Insel.
Im Innern von Naxos ist ein Migmatit-Dom in die Höhe gedrückt worden (links oben im Bild). Dabei wurden die auf ihm gelegenen Sedimentschichten stark gekippt.
2. Bankung und Bänderung
In Sedimentgesteinen kann man oft eine deutliche Bankung oder Bänderung erkennen. Manchmal stammt diese Schichtung daher, dass während der Sedimentation lagenweise unterschiedliches Material deponiert wurde. Oft ist sie jedoch erst bei der Metamorphose des Gesteins entstanden, dadurch dass sich aufgrund des Druckes unterschiedliche Komponenten des teilweise verflüssigten Gesteins lagenweise voneinander trennen.
Diese Marmore zeigen eine deutliche Bankung, d.h. sie zerfallen entlang paralleler Schichten, bei denen es sich um die ursprünglichen Schichten der Sedimentation handeln kann, die aber auch aus den Druckverhältnissen während der Metamorphose resultieren können. In diesem Fall erscheint es wahrscheinlich, dass die Bankung den ursprünglichen Sedimentationsschichten folgt, leicht nach Osten einfallend.
Oft ist es nicht möglich, anhand der Risse und Klüfte im Gestein die ursprüngliche Richtung der Sediment-Lagen auszumachen: Durch die Metamorphose und durch tektonische Prozesse sind druckbedingte Risse entstanden, die in diversen anderen Richtungen verlaufen und das Gestein zerklüften.
Die in diesem Marmor zu sehende Bänderung befindet sich in der Nähe einer Scherzone und entstand bei der Metamorphose, als durch das teilweise Aufschmelzen verschiedene Anteile des Gesteins sich trennten, oder durch das Eindringen von mineralhaltigen Flüssigkeiten entlang von Schwächezonen, die durch den Druck und eine relative Bewegung der Schichten zueinander entstanden.
Marmor mit Bänderung, vermutlich bei der Metamorphose entstanden; die hier zu sehenden bräunlichen Streifen im Marmor resultieren wohl aus einem höheren Gehalt an eisenhaltigen Mineralen.
Diese feine Bänderung im Marmor ist vermutlich ebenfalls durch die Prozesse der Metamorphose oder durch tektonische Bewegungen entstanden.
3. Schieferung
Schiefer oder schieferhaltige Gesteine erkennt man an ihrer “Schieferung”, d.h. einer lagigen Textur des Gesteins, die durch eine schichtweise Einregulierung ihrer flächigen Minerale (Glimmer, Tonminerale usw.) entsteht. Diese Einregulierung der Mineralien erfolgt bei einer Metamorphose, wenn die Gesteine bei starkem Druck (teilweise) verflüssigt werden und wieder erstarren. Außerdem können die Mineralien des Gesteins durch eine relative Bewegung zweier aufeinander liegender Gesteinsschichten einreguliert werden (“Dislokations-Metamorphose”).
Schiefergestein zeigt stets eine deutliche Schichtung, die Schieferung, die durch die schichtförmigen, bei der Metamorphose parallel einregulierten Glimmermineralien entsteht.
Hier liegen Schieferschichten konkordant auf Marmorschichten, d.h. die Schichtung verläuft aller Wahrscheinlichkeit nach in Richtung der Lagen der Sedimentation, bei der sich im selben Gebiet erst kalkhaltige, dann tonreiche Sedimente abgesetzt haben. Die Schieferung folgt in diesem Fall den Sedimentationsschichten; sie vermutlich bei einer großflächigen Regionalmetamorphose durch das Gewicht der darüberliegenden Sedimente entstanden.
Die Bänderung in diesem Gneis, die ebenfalls auf der Einregulierung der Glimmermineralien beruht, entspricht dagegen nicht der ursprünglichen Sedimentationsschichtung des Gesteins, sondern ist nachträglich durch eine Einregelung der Kristalle während der Metamorphose entsprechend der jeweiligen Druckrichtung entstanden. Die Bänderung verläuft nicht gerade und parallel, sondern ist durch die tektonischen Prozesse und den starken Druck während der Metamorphose verformt und verbogen.
Auf diesem Bild sieht man auch die gröbere “Schichtung” im Gneis, die ebenfalls auf der Paralleltextur seiner Mineralien beruht. Die hier abgebildeten Gneise liegen oberhalb des Migmatit-Doms, der im Zentrum der Insel hervorgedrückt ist, und zeigen eine entsprechende Lagerung: östlich des Doms fallen sie nach Osten ein, westlich des Doms nach Westen, d.h. sie verlaufen so, als hätte der hervordringende Migmatit-Dom ursprünglich horizontale Schichten in die Höhe gedrückt. Trotzdem hat die Schichtung des Gneises nichts mit einer ehemaligen Schichtung des Ausgangssediments zu tun, sondern ist durch die Druckverhältnisse während der Metamorphose durch den Kontakt mit dem heißen aufdringenden Gestein entstanden.
Falten
Während der Auffaltung eines Gebirges werden die ursprünglich horizontalen und geraden Schichten der Sedimente durch tektonische Bewegungen verbogen und verfaltet. Diese Falten können sehr weiträumig auftreten, d.h. sich über viele Kilometer erstrecken, oder aber nur wenige Meter oder Zentimeter groß sein. Die Falten sind dabei manchmal nur schwach gebogen, andere Male ganz geschlossen und gekippt (liegende Falten). Aus der Form und Richtung der Falten kann man auf die Bewegungen während der Gebirgsbildung zurückschließen.
Hier sieht man Marmorschichten, die durch tektonische Bewegungen leicht verbogen worden sind.
Bei der großräumigen Überschiebung, durch die der Deckenstapel der Kykladen gebildet wurde, entstanden in manchen Bereichen große, liegende Falten.
Hier sieht man zwei kleine Falten im Schiefer. Kleinere Falten dieser Art kommen häufig vor.
Diese kleinen Falten in der Bänderung im Marmor haben vermutlich nichts mit der ursprünglichen Sedimentations-Schichtung zu tun, sondern sind ausschließlich durch die Metamorphose des Gesteins entstanden.
Während der Bildung des Migmatit-Doms wurde die ganze Region einer starken Stauchung in W-O-Richtung unterworfen. Durch diese Stauchung wurden die Marmorschichten mit Amphiboliten, die sich am Migmatit-Dom befinden, in fast senkrecht stehende Falten gepresst. Hier sieht man diese Schichten im Marmorsteinbruch bei Kinídaros. Die Amphibolit-Schichten im Marmor stammen nicht daher, dass lagenweise ein anderes Material sedimentiert ist, sondern sind aus Magma-Gängen enstanden, die beim Aufdringen des Migmatit-Doms in die darüberliegenden Marmorschichten eingedrungen sind.
Hier sind dichte, steile Falten im Kern des Migmatit-Doms zu sehen. Stellenweise sind helle (z.B. Feldspäte oder Quarz) oder schwarze Mineralien (z.B. Turmalin) in flüssigkeitsgefüllte Zwischenräume zwischen den verbogenen und verfalteten Schichten eingewandert.
Verwerfungen
Während Falten sich bilden, wenn Gesteinsschichten unter “duktilen” Bedingungen verformt werden, d.h. in tieferen Lagen der Erdkruste bzw. bei hohen Temperaturen, wenn das Gestein noch weich und formbar ist, entstehen bei kühleren Bedingungen, wenn das Gestein nicht mehr verformbar ist, Brüche. Als Verwerfung bezeichnet man die relative Verschiebung zweier Gesteinspakete an einem solchen Bruch. Wenn die Schichten bei der Verwerfung gestaucht werden, handelt es sich um eine Aufschiebung, d.h. es geraten dieselben Gesteinsschichten übereinander. Sehr flache, großräumige Aufschiebungen werden Überschiebung genannt. Abschiebungen erfolgen dagegen in der anderen Richtung durch eine Streckung der Region. Es ist auf den ersten Blick nicht immer einfach, die Richtung der Verschiebung festzustellen, aber eine genauere Untersuchung der Einregulierung der Mineralien kann die Bewegungsrichtung der Schichten untereinander aufzeigen.
Die Insel Naxos ist durch eine Vielzahl größerer und kleinerer Verwerfungen zergliedert. Oft folgen die Verwerfungen Schwächezonen im Gestein; z.B. kann die Bewegung genau entlang einer Grenzfläche zwischen Marmor und Schiefer verlaufen, wo der Zusammenhalt des Gesteins geringer ist. Manchmal erfolgt an derselben Verwerfung in manchen Phasen eine Abschiebung, in anderen dagegen eine Aufschiebung: Die Bewegungsrichtung hat sich umgekehrt. Wenn die Bewegung bei relativ kühlen Bedingungen, also spröde verläuft, werden die an der Verschiebungsebene liegenden Gesteine oft in kleine Stücken zerbrochen, die später durch einwandernde Mineralien wieder verbacken werden. Diese tektonischen Brekzien sind oft ein guter Hinweis darauf, dass eine Verwerfung in der Nähe liegt.
Naxos ist durch mehrere etwa parallel in W-O-Richtung verlaufende Abschiebungen zergliedert (“normale” Verwerfungen). Außerdem gibt es größere Scherzonen (s.u.) und zahlreiche kleinere Verwerfungen, z.B. ein System kleiner Brüche, die etwa radial entlang der Küste zu finden sind, und die durch die Emporwölbung der Insel entstanden sind.
Hier kann man wohl eine kleinräumige Verwerfung sehen: Der größere braune Block oben scheint von rechts keilförmig zwischen die anderen Schichten geschoben zu worden sein. Die Bänderung des Marmors zeichnet diese Verschiebung nach. Sie ist jedoch offensichtlich durch eine Metamorphose überprägt worden: Ganz rechts am Rand zeigt sie Verzweigungen, die dadurch entstanden sein könnten, dass das hellere Material während der Überschiebung in kleine Risse eingedrungen ist. Das würde bedeuten, dass die Aufschiebung bei halb duktilen, halb spröden Bedingungen stattgefunden hat.
Dieselben Vorgänge, mit denen große Gesteinsblöcke und ganze Berge verstellt, gekippt und verschoben werden, kann man in Miniaturgröße an diesen Marmorsteinen sehen. Die unterschiedlich gefärbten Schichten lassen die Versetzung und Kippung der kleinen “Blöcke” deutlich werden (am unteren Foto siehe die “zerbrochene” leicht bräunliche Schicht etwa in der Mitte).
Hier derselbe Vorgang in groß am Kap.
Dieser Stein zeigt spröde Verschiebungen im unteren Bereich, wo das Gestein in kleine untereinander verschobene Blöcke zerbrochen ist. Im oberen Bereich kann man dagegen eine Verschiebung unter duktilen Bedingungen erkennen.
Hier die duktile Verschiebung von nahem: Es ist eine kleine “Verwirbelung” enstanden.
Diese Gesteinsschichtungen zeigen eine Versetzung der Marmor- und Schiefer-Schichten entlang einer schräg von links oben nach rechts unten verlaufenden Verwerfung. Es handelt sich um eine normale Verwerfung, d.h. eine Abschiebung, keine Aufschiebung. Die Verschiebung erfolgte im abgekühlten Zustand, wie man an der zerbrochenen Verschiebungszone sehen kann.
In der Nachbarschaft liegt eine weitere ähnliche Verschiebung, deren Verwerfungsfläche etwas steiler gekippt ist.
An der Verwerfung sind die Gesteine durch die Bewegung “zerbrochen” und stark verschoben.
Bei derartigen Bewegungen entstehen oft Hohlräume und Spalten, in die im Nachhinein Calcit hineinwächst, das sich in den Flüssigkeiten des Gesteins befindet. Manchmal bilden sich so sehr schöne, große Calcitkristalle.
Manchmal bleiben auch offene Spalten, die weit in die Erde hineinreichen, so wie an dieser kleinen Verwerfung.
Und hier noch eine Störung, an der ein keilförmiges Geländestück ein Stück weit versetzt worden ist. Bei der Beurteilung aller Störungen muss man immer berücksichtigen, dass das Geländestück auch (vom Betrachter aus gesehen) nach vorn oder hinten bewegt worden sein kann, nicht nur in der Ebene, die der Oberfläche entspricht.
Scherzonen
Als Scherzonen werden Verwerfungen bezeichnet, in denen eine Decke sehr flach und großflächig gegen eine andere verschoben wird. Auch dabei kann es sich um Aufschiebungen (dann Überschiebung genannt) oder Abschiebungen (Dehnung) handeln. Auf Naxos verläuft eine größere Scherzone in SSW-NNO-Richtung von Agiassós bis Líonas zwischen der Zeus- und der Koronos-Einheit der Decken des Pindos-Ozeans, an der eine Überschiebung (“top to the north”) stattfindet. Parallel zu dieser Scherzone verlaufen auch einige weitere, heute inaktive Verwerfungen. Eine weitere “normale” Scherzone befindet sich rund um den Migmatit-Kern, an der die darüberliegenden Schichten der Koronos-Einheit nach Norden verschoben werden.
Bei diese Verwerfung an der Straße östlich von Apíranthos könnte es sich um die Scherzone zwischen der Zeus- und der Koronos-Einheit oder um einen “Nebenzweig” davon handeln. Man sieht die recht steil stehende Scherfläche, entlang derer die Bewegung stattgefunden hat.
Teilweise kleben auf der Scherfläche tektonische Brekzien.
Die tektonische Brekzie besteht aus großen und kleinen Gesteinsbrocken, die durch die Verschiebung der Gesteine gegeneinander von ihrem ursprünglichen Ort gelöst worden sind und danach wieder mit einem oft tonhaltigen, rötlichen “Zement” verbacken wurden.
Die wichtigste Scherzone von Naxos befindet sich zwischen der Oberen Kykladen-Decke, d.h. den tektonisch gesehen zuoberst liegenden, nicht metamorphen Schichten, und den Einheiten des Pindos-Ozeans, die den größten Teil der Insel aufbauen. Die Obere Kykladen-Decke ist auf Naxos nur in sehr kleinen Bereichen erhalten. Der größere dieser Bereiche liegt zwischen dem Granodiorit bei der Chóra und dem Migmatit-Dom im Inselinnern, d.h. in einem Gebiet, das sich von Galanádho über Mélanes bis zur Küste nördlich von Engarés erstreckt. Der zweite umfasst einen sehr schmalen Streifen an der Küste bei Moutsoúna. An dieser Scherzone hat eine beträchtliche Bewegung stattgefunden. Direkt östlich von Moutsoúna ist die Scherzone sehr gut zu sehen.
Die Bewegung an der Scherzone erfolgte vor etwa 15 bis 10 Mio. Jahren. Die oberen Schichten wurden durch die Bewegung nach NNO verschoben, wobei es sich um eine Abschiebung (Streckung) handelte. Die obere Decke wurde vermutlich über viele Dutzend Kilometer verschoben. Die Scherzone lag ursprünglich in einem sehr flachen Winkel, der später durch die Heraushebung der Insel steiler gestellt wurde. Der durch die Scherzone beeinflusste Bereich ist etwa 100 – 200 m breit. Die Bewegung erfolgte unter spröden bis duktil-spröden Bedingungen, d.h. bei nicht besonders hohen Temperaturen (bis höchstens 360°C). Durch die Scherung wurden die naheliegenden Sedimente von der Amphibolit-Metamorphose-Fazies (Hochtemperatur) in die Grünschiefer-Fazies (Mitteltemperatur) “zurückmetamorphisiert”, d.h. der Mineralbestand der Gesteine wurde teilweise verändert. Dabei wurden die Mineralien in der Scherzone unter duktilen Bedingungen verformt (“mylonisiert”).
Die Scherfläche der Moutsouna-Abschiebung: An der Küste östlich von Moutsoúna ist die Fläche, an der die Bewegung stattfand, exponiert. Die Fläche liegt heute durch nachträgliche Bewegungen in einem Winkel von etwa 30° gekippt. Die Fläche ist erstaunlich einheitlich und eben. Unterhalb der Scherfläche liegt mylonisierter Calcitmarmor. Auf der rechten Seite im Bild sieht man das wenig verfestigte miozäne Konglomerat, das oberhalb der Scherzone liegt.
Blick auf die Scherfläche mit dem grauen mylonisierten Marmor.
Hier sieht man die Marmore unterhalb der Scherfläche im Anschnitt. Die Mineralien sind durch die Scherbewegung plastisch verformt und gestreckt worden. Der überprägte Marmor zeichnet sich durch seine feine, etwas “wellige” Lagentextur aus (Mylonit).
In Westnaxos sind die Verhältnisse komplizierter, und es ist nicht so einfach, die Scherzone zwischen der Oberen Kykladen-Decke und den darunter liegenden Sedimenten der Pindos-Decke zu verfolgen. Hier sieht man die Scherzone; oberhalb liegen Schiefer, unterhalb Marmore.
Der Marmor ist an der Scherzone durch die Bewegung sehr stark “zerbrochen”; man bezeichnet derartige Gesteine als Kataklasit (genauer “Kakirit”).
Direkt an der Scherfläche sieht man eine starke “Mylonisierung” der Gesteine, d.h. die Schichtminerale der Schiefer sind durch die Bewegung feinlagig einreguliert (Dislokations-Metamorphose).
Auch an der kleinen Straße, die von Südwesten nach Mélanes führt, kommt man an der Scherzone (oder jedenfalls an einem durch die Scherung beeinflussten Gebiet) vorbei. Hier sieht man unterhalb der Marmore stark mylonisierte Gesteine.
Oft scheint die Bewegung hauptsächlich in Schieferschichten stattgefunden zu haben. Hier sieht man ein ungleichmäßig verlaufendes Band stark mylonisierter Schiefer zwischen Marmorschichten, die in große Brocken zerbrochen und bewegt worden sind. Marmore können nicht “mylonisiert” werden, da sie keine Schichtminerale beinhalten.
Die Marmore an der Scherzone sind durch die Bewegung in große und kleinere Brocken zerbrochen und von einem dichten Geflecht an Calcit-Adern überzogen, das die starke Beanspruchung des Gesteins bezeugt.
An dieser Stelle ist der Marmor wieder zu einem Kakirit zerbrochen.
weiter: Verwitterung und Wasserhaushalt
zurück: Die Geologie der Insel Naxos
siehe auch: