Der Kouros von Apollonas
Nahe beim Hafenörtchen Apóllonas ganz im Norden von Naxos liegt eine riesige Marmorstatue, der sogenannte “Kouros” (gr. für Jünglingsstatue), in einem antiken Steinbruch. Abgesehen vom Kouros kann man auch an anderen Stellen auf dem Hügel Bearbeitungsspuren an den Marmorfelsen finden, und eine weitere kleinere Statue liegt unzugänglich im Gestrüpp unterhalb der Straße.
Blick vom Kouros auf das Dorf Apollonas
Der Steinbruch, in dem der Kouros liegt, ist einer der bedeutendsten Marmorsteinbrüche der frühen archaischen Zeit, nicht nur auf Naxos, sondern auch im weiteren Umfeld. Hier wurde vermutlich schon ab der mykenischen Zeit bis in die klassische Antike Marmor abgebaut; möglicherweise handelt es sich um den ältesten Marmorsteinbruch Griechenlands. Marmorblöcke und Statuen, die aus dem Steinbruch von Apóllonas stammen, finden sich nicht nur auf Naxos, sondern auch auf Delos, auf der Athener Akropolis und sogar in Delfi.
Über den ganzen Hügel verstreut liegen Felsen aus gutem, weißem Marmor, an denen teilweise noch Bearbeitungsspuren zu erkennen sind.
Direkt an der Straße befindet sich dieser Marmorfelsen, von dem ein Block abgelöst werden sollte; an beiden Enden ist eine tiefe Einkerbung gemacht worden.
Beim Kouros handelt sich um eine außergewöhnlich große Statue: Sie ist über 10 Meter lang und wiegt (angeblich) etwa 80 Tonnen, und ist somit sogar etwas größer als der ebenfalls von Naxos stammende, den Apollon darstellende Koloss der Naxier von Delos, die größte je aufgestellte Marmorstatue Griechenlands. Die Figur liegt auf dem Rücken und ist grob ausgearbeitet: Kopf, Beine und Arme sind gut zu erkennen. Die noch nicht ausgearbeiteten Füße stehen auf einer 50 cm hohen Plinthe (=Marmorplatte). Die feinere Ausarbeitung wurde bei allen Kouroi erst am endgültigen Standort vorgenommen, damit Schäden während des Transports möglichst vermieden werden konnten. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Statue den Gott Dionysos darstellen sollte, den wichtigsten Gott der Insel (zu erkennen an seinem Bart).
Der Kouros wird auf das frühe 6. Jahrhundert vor Christus in die archaische Epoche datiert. Die Statue ist schon vom Untergrund losgelöst und um einige Dezimeter transportiert worden. Unter dem Rücken ist am Ort des Schwerpunkts die Ansatzstelle für einen Hebebalken erkennbar. Es ist jedoch keine Bahn für den Abtransport der Statue freigelegt worden, d.h. die Statue wurde vor dem Beginn des Transports aufgegeben. Wir wissen nicht, warum die Statue nicht abtransportiert wurde. Vielleicht stellte der Transport die Steinmetze doch vor unlösbare Aufgaben – der fast ebenso große Koloss von Delos etwa aus derselben Zeit ist zwar aus dem Steinbruch von Flerió bis nach Delos geschafft worden, aber für ihn wird ein deutlich geringeres Gewicht berechnet (etwa 30 Tonnen). Es wäre auch denkbar, dass politische Veränderungen zu einer Aufgabe der Statue führten.
Die naxiotische Marmorplastik
Der Kouros von Apóllonas ist eine der ersten Monumentalstatuen Griechenlands. Über mehr als fünfzig Jahre wurden derartige Statuen im ganzen griechischen Raum nur auf Naxos hergestellt: Die Insel spielte eine sehr wichtige Rolle bei der Entwicklung der griechischen Plastik. Von Naxos wurden zahlreiche Statuen in andere Gegenden Griechenlands exportiert. Auch die Technik der Marmorbearbeitung wurde von hier aus verbreitet: Außer Statuen aus naxiotischem Marmor finden sich vielerorts auch Statuen aus lokalem Marmor aber in naxiotischem Stil.
Die Marmorbearbeitung und die Anfertigung von Statuen hat auf Naxos eine besonders lange Tradition. Schon sehr früh, in der Frühen Bronzezeit im dritten vorchristlichen Jahrtausend, war Naxos ein bedeutendes Zentrum für die Herstellung der berühmten Kykladen-Idole, kleiner, abstrahierter, sorgfältig gearbeiteter Marmor-Statuetten. Für diese so frühe und wegweisende Entwicklung der Marmorplastik auf Naxos spielte nicht nur der gute Marmor der Insel eine entscheidende Rolle, sondern auch der Schmirgel, der (fast) nur auf Naxos vorkommt. Es ist sicher, dass der Schmirgel schon während der Bronzezeit für die Bearbeitung des Marmors verwendet wurde: Die frühen Bildhauer benutzten beispielsweise Schmirgelpulver zum Aushöhlen und Glätten ihrer Werke.
Die naxiotische Marmorplastik hatte Vorbilder in der ägyptischen Plastik, wie gerade am Kouros von Apóllonas gut zu erkennen ist. Viele Merkmale der Statue stimmen mit denen ägyptischer Statuen überein, so die Größenverhältnisse, die Beinstellung (linkes Bein ein Stück vor), die Armhaltung (bis zum Ellenbogen anliegend, dann abgewinkelt), die Kopfhaltung (Gesicht genau nach vorn) und die Frisur (ähnelt einer ägyptischen Perücke). Fast alle frühen griechischen Figuren sind in dieser Weise gestaltet, während die späteren Figuren sich von der strengen Haltung befreien und “beweglich” werden (so z.B. der Kouros von Flerio (Mélanes), der noch manche Aspekte der frühen “ägyptischen” Haltung beibehält, aber schon viel lockerer steht). Anders als die ägyptischen Statuen waren die griechischen jedoch nackt und stehen von Anfang an vollständig losgelöst (die ägyptischen stehen mit dem Rücken am Gestein bzw an einer Steinsäule).
Der Kouros ähnelt in seiner Haltung stark den frühen ägyptischen Plastiken.
Nach ägyptischen Vorbildern waren auch andere bedeutende Bildwerke, die von Naxos stammen, hergestellt, so die berühmte Löwenallee auf Delos und die Sphinx in Delphi. Die Ähnlichkeit mit ägyptischen Monumenten ist teilweise so groß, dass man davon ausgehen muss, dass die naxiotischen Bildhauer persönlich in Ägypten gewesen sind und die dortigen Vorbilder ihrer Werke mit eigenen Augen gesehen haben. Herodot berichtet, dass die Ägypter Ionier und Karer eingeladen hätten, in ihrem Land zu siedeln.
Die Bearbeitung des Gesteins
Zum Bearbeiten des Marmors benutzten die alten Bildhauer Hämmer und Meißel verschiedener Form sowie Zahneisen, Bohrer und Keile, die zunächst aus Bronze, später auch aus Eisen hergestellt waren. Für die Herstellung des Kouros wurde das Gestein um die Figur herum allmählich mit Hammer und Meißel weggeschlagen. Dabei wurde an der hinteren Seite ein “Graben” in das Gestein gearbeitet, der groß genug war, dass die Arbeiter darin sitzen konnten. Der Marmor wurde lagenweise abgetragen; die so entstandenen waagerechten Rillen sind noch deutlich zu erkennen. Auf der Statue sieht man die Kuhlen vom Abschlagen kleiner Stücke des Gesteins mit Hammer und Meißel. Nach der groben Vorbearbeitung mit größeren Meißeln wurde bei der Fertigstellung der Statuen (nachdem sie zum Aufstellungsort transportiert waren) mit immer kleineren Meißeln gearbeitet und schließlich die Oberfläche mit Schleifsteinen (z.B. Holz mit hineingedrücktem Schmirgelsand) abgeschliffen.
Hinter der Figur wurde das Gestein lagenweise abgetragen, so dass ein kleiner Graben entstand, an dessen Wand die Rillen von der Bearbeitung noch zu sehen sind. Hier schaut man Richtung Kopf.
im Graben hinter der Figur, Blick Richtung Füße
In den Felsen neben den Füßen ist ein Loch gebohrt, das wohl irgendeinen Zweck bei der Bearbeitung erfüllte.
Auf der Oberfläche der Statue erkennt man überall die kleinen Kuhlen, die beim Abschlagen des Marmors mit Hammer und Meißel entstanden.
Der Kouros sollte sicher nicht vor Ort in Apóllonas bleiben, sondern beispielsweise zum großen Heiligtum des Dionysos bei Íria in der Nähe der Chóra oder auch nach Délos zum Apollon-Heiligtum transportiert werden. Die Statuen wurden mit Schiffen zu ihrem Bestimmungsort gebracht. Zunächst mussten sie zum Hafen in Apóllonas transportiert werden, wozu eine glatte Rampe bis zur Hafenanlage am Meer existieren musste, über die die großen Statuen und Steinblöcke für Säulen und Tempel wohl mithilfe von Ochsengespannen gezogen wurden (schon dieser Aufwand erscheint einem heute ungeheuer!). Reste einer antiken Mole sind im Hafenbecken von Apóllonas erhalten.
Im Hafenbecken von Apóllonas sind Reste der antiken Mole zu erkennen.
Die antike Mole bestand aus großen Felsblöcken.
Es erscheint einem heute schon erstaunlich genug, wie es den Menschen damals ohne Hilfsmittel wie moderne Kräne gelang, die großen Statuen auf Schiffe zu verladen. Die größten Statuen oder Marmorblöcke wurden zwischen zwei Schiffen im Wasser hängend transportiert. Vom Ankunftshafen aus mussten dann oft noch große Strecken über Land zurückgelegt werden; so wurden Marmorstatuen, die von Naxos stammen, nicht nur bis zur Akropolis in Athen sondern gar bis Delphi transportiert, das immerhin gut 600 m hoch in den Bergen liegt.
auf den Füßen des Kouros sitzend…
weiter: Der antike Steinbruch bei Apollonas
zurück: Steinbrüche und Statuen
siehe auch:
- Die Sehenswürdigkeiten
- Die Kouroi von Melanes (Flerio)
- Die Geschichte der Insel Naxos
- Die archaische Epoche
- Apollonas – ein malerisches Hafenörtchen
- Die antike Inschrift beim Kouros von Apollonas
- Die byzantinische Festung auf dem Kalogeros
- Die Schmirgelminen von Naxos
- Marmorabbau im Steinbruch von Kinidaros heute
zum Weiterlesen: Der Kouros von Apollonas bei Wikipedia
Τα σχόλια είναι απενεργοποιημένα.