Die Bestäubung der Ragwurzen mittels Sexualmimikry
Die Orchideen der Gattung Ophrys (Ragwurz) fallen durch ihre eigenartig geformten Blüten auf. Bei manchen Arten ähneln die Blüten bestimmten Insekten, was sich auch oft im deutschen Namen zeigt, z.B. Hummel- oder Fliegenragwurz. Was hat es aber mit diesen Ähnlichkeiten auf sich?
Bei den Orchideen sitzt der Pollen in sogenannten Pollinarien, d.h. die Blüte besitzt eine „Griffelsäule“ aus verschmolzenem Griffel und Staubblättern, an der zwei klebrige, etwa tropfenförmige Pollenpakete sitzen, die den gesamten Pollen der Blüte enthalten. Orchideenblüten produzieren ungewöhnlich viele Samen, nämlich etwa zwischen 10.000 und 1 Millionen Samen pro Blüte. Diese können alle durch den Pollen eines einzigen Pollinariums befruchtet werden. Diese ungewöhnlich hohe Samenzahl soll offenbar garantieren, dass trotz der komplizierten Bestäubung genügend Samen es schaffen zu keimen, um den Fortbestand der Art zu sichern, obwohl jede Pflanze nur sehr wenige Blüten bildet und meist nur etwa ein Zehntel der Blüten tatsächlich bestäubt wird.
An dieser Ragwurz-Blüte ist eines der gelben Pollinarien (halb losgelöst) zu sehen.
Als ich vor ein paar Tagen (Anfang Februar) einige Wildbienen an unserem Rosmarin-Strauch beobachtete, die sich wegen des schönen Wetters hervorgewagt hatten, fiel mir eine graue Biene auf, die zwei Pollinarien am Hinterleib trug. Es war gar nicht einfach, die Biene zu fotografieren, da sie sehr schnell von Blüte zu Blüte flog und sich kaum einmal länger hinsetzte. Aber mit Geduld hat es doch einige brauchbare Fotos ergeben. Nun wollte ich natürlich gern wissen, um was für eine Bienenart es sich handelte und von welcher Orchideen-Art die Pollinarien stammten.
Die hellgraue, auffällig dicht und lang behaarte Biene schwirrte unentwegt von Blüte zu Blüte und setzte sich nur gelegentlich kurz hin, um ein bisschen Nektar zu saugen.
Hier habe ich sie bei einer Ruhepause erwischt. Man sieht die gelben Pollinarien, die am Hinterleib haften.
Bei der Bienenart handelt es sich um die Pelzbiene Anthophora nigrocincta (= A. canescens), die in SO-Griechenland als Bestäuber der sehr früh blühenden Ragwurz-Art Ophrys basilissa (oft als Unterart oder Form von Ophrys omegaifera betrachtet) fungiert. Es ist mir nicht gelungen, die Pflanze zu entdecken, von der die Pollinarien stammen, obwohl sie in der Nähe stehen muss, aber ich habe Ophrys basilissa schon in anderen Jahren bei uns angetroffen. Für die Bestimmung sowohl der Biene als auch der Pollinarien danke ich sehr herzlich Prof. Hannes Paulus!
Die Pollinarien stammen von der sehr früh im Jahr blühenden Ragwurz-Art Ophrys basilissa.
Im Jahr 1916 kam ein Franzose namens Pouyanne erstmals zum Schluss, dass es sich beim Bestäubungsmechanismus der Ragwurzen um Sexualmimikry handelt. Das bedeutet, dass die Blüte ein Insekten-Weibchen nachahmt und auf diese Weise die Männchen anlockt. Wenn das Männchen sich auf die Blüte setzt, um zu kopulieren, werden ihm die Pollinarien angeheftet. Beim nächsten Kopulationsversuch auf einer anderen Blüte kann es dann auf dieselbe Weise die Pollinarien auf deren Narbe aufbringen. Bei den meisten Ragwurz-Arten fungieren Bienenmännchen als Bestäuber, seltener die Männchen von Wespenarten oder anderen Insekten.
Durch aufwändige und detaillierte Untersuchungen konnten die Biologen Hannes Paulus und Mitarbeiter – sowohl im Labor als auch im Freiland – nachweisen, auf welche Weise die Blüte die Täuschung erzielt. Es ergab sich, dass jede Orchideen-Art auf eine Bestäuber-Art spezialisiert ist; Besuche durch andere Arten kommen nur selten vor. Die Sexualmimikry umfasst drei unterschiedliche Aspekte, nämlich olfaktorische, optische und taktile Signale.
Als erstes werden die Männchen durch Duftstoffe angelockt, die von der Orchideenblüte ebenso wie vom Bienenweibchen abgegeben werden. So entsteht eine Duftfahne, der das Männchen über mehrere Meter im Zickzackflug folgt. In den Orchideenblüten ließen sich zahlreiche Duftstoffe nachweisen, die mit denen der Bienenweibchen identisch sind. Diese liegen in einer bestimmten, artspezifischen Mischung vor, so dass (fast) nur die Männchen der richtigen Art angelockt wurden.
Wenn das Bienenmännchen bei der Blüte angekommen ist, orientiert sich es nach optischen Merkmalen, wobei vor allem die Färbung der Lippe von Bedeutung ist sowie der glänzende „Spiegel“, der die schillernden Flügel des Weibchens nachahmt. Dabei spielt auch UV-Licht eine Rolle, welches von bestimmten Stellen stärker reflektiert wird, und das die Bienen gut sehen können.
Bei manchen Orchideen-Arten werden die Insektenweibchen direkt im Aussehen nachgeahmt, so dass die Ähnlichkeit auch für den Menschen ersichtlich ist. Generell beschränkt sich die Orchidee jedoch auf die Merkmale, an denen das Männchen sich orientiert, so besitzen die Blüten mancher Arten kleine runde Flecke am Schlund der Lippe, die wie die Flügelgelenke des Weibchens aussehen. In anderen Fällen besteht nur eine sehr ungefähre Ähnlichkeit, manchmal überhaupt nur in der Grundfärbung der Lippe, d.h. bei diesen Arten sind die optischen Merkmale von geringerer Bedeutung.
Ophrys mammosa wird durch eine sehr dunkel gefärbte Andrena-Art bestäubt. Die silbrig glänzenden Male ahmen die Flügel des Bienenweibchens nach.
Ophrys ariadnae mit dem auffälligen kontrastreichen Mal wird von Trauerbienen der Gattung Melecta bestäubt.
Die Trauerbiene ist schwarz gefärbt mit auffälligen weißen Flecken an den Seiten des Körpers und auf den Beinen.
Ophrys heldreichii wird von Langhornbienen der Gattung Eucera bestäubt. Das komplizierte Mal ahmt vermutlich die Lichtreflektion der Flügel des Weibchens nach. Neben der Höhlung unterhalb der Staubblatt-Röhre sitzen zwei kleine knopfartige Flecken, die den Flügelgelenken der Biene entsprechen.
Die Männchen der Langhornbienen besitzen auffällige, etwa körperlange Antennen, mit denen sie die Duftstoffe der Weibchen (und der Orchideen) wahrnehmen.
Wenn das Bienenmännchen sich auf der Blüte niedergelassen hat, spielen schließlich noch taktile Reize eine Rolle. Dabei kommt es zunächst auf die pelzige Behaarung der Blüte an, die das Haarkleid der Biene nachahmt. Bei manchen Orchideen-Arten setzt sich das Männchen mit dem Kopf nach oben auf die Lippe, so dass ihm die Pollinarien an den Kopf geheftet werden, bei anderen verläuft der Haarstrich in die andere Richtung und das Männchen setzt sich mit dem Kopf nach unten hin, so dass die Pollinarien an den Hinterleib geheftet werden. Außerdem spielen die seitlichen „Ärmchen“ der Lippe eine Rolle als optische oder taktile Nachahmung der Beine des Weibchens. Das Männchen muss sich durch diese Berührungsreize so exakt auf die Blüte setzen, dass die Pollinarien genau an die richtige, artspezifische Stelle geheftet werden, so dass sie beim Besuch der nächsten Blüte erfolgreich auf deren Narbe aufgebracht werden.
Bei den Orchideen der Ophrys omegaifera-Gruppe setzt sich das Männchen mit dem Kopf nach unten auf die Blüte, so dass die Pollinarien an den Hinterleib geheftet werden.
Auch Ophrys israelitica aus der Ophrys fusca-Gruppe besitzt eine hier gut zu erkennende aufwärtsgerichtete Behaarung, d.h. auch bei dieser Art setzt die Biene sich mit dem Kopf nach unten auf die Lippe.
Eine Selbstbestäubung durch einen erneuten Kopulationsversuch des Männchens mit derselben Blüte wird durch zwei Maßnahmen unwahrscheinlich gemacht. Erstens merken sich die Männchen die „unbrauchbare“ Blüte, wobei sie sich Versuchen zufolge sowohl nach dem individuellen „Duft-Bouquet“ der einzelnen Blüte als auch (bei manchen Arten) nach deren individueller Zeichnung richten. Dieser Lerneffekt ist offenbar der Grund dafür, dass oft die Blüten jeder Pflanze etwas anders aussehen: So fliegt das Männchen die leicht anders aussehenden Blüten anderer Pflanzen weiterhin an, während es die schon besuchte Blüte nun meidet. Nach mehreren erfolglosen Versuchen fällt es auf die Orchideenblüten gar nicht mehr herein – bis dahin ist es aber oft schon zur erfolgreichen Bestäubung einer Blüte gekommen.
Außerdem wird die Selbstbefruchtung dadurch verhindert, dass sich die Pollinarien ein oder zwei Minuten nach dem Anheften an das Männchen durch Austrocknen der Stiele etwas nach unten biegen. Erst dann, d.h. wenn genug Zeit vergangen ist, dass das Männchen eine andere Pflanze aufgesucht hat, sind die Pollinarien in der richtigen Position, um auf die Narbe aufgetragen zu werden.
Eine schon bestäubte Orchideenblüte stellt die Produktion der Duftstoffe ein oder beginnt mit der Produktion eines Duftstoffes, den auch die schon begatteten Bienenweibchen abgeben, so dass sie nicht mehr von Männchen besucht wird: eine wichtige Maßnahme, damit keine kostbaren Pollinarien verschwendet werden.
Es ist leicht verständlich, wie die Selektion in diesem Fall wirkt: Die Blüten, die die Männchen am effektivsten anlocken, und bei denen sich die Männchen an genau die passende Stelle setzen, werden mit der größten Wahrscheinlichkeit bestäubt, so dass ihre Merkmale weitergegeben werden. Dabei ist auch die Artspezifität von besonderer Bedeutung: Nur dadurch kann gesichert werden, dass die Pollinarien nicht vergeudet werden. Das funktioniert meistens dadurch, dass nur die Männchen der korrekten Art überhaupt die Blüte besuchen. Es gibt jedoch auch Fälle, in denen dieselbe Bienenart mehrere unterschiedliche Orchideen betäubt. In diesem Fall werden die Pollinarien an unterschiedliche Stellen am Körper geheftet, so dass sie nur auf die Narben der richtigen Art aufgebracht werden. Die Pollinarien kleben sich übrigens so fest an die Biene, dass diese sie nicht entfernen kann und gegebenenfalls tagelang mit sich herumträgt.
Unter den Orchideen ist die Abrenzung und Aufspaltung der Arten ganz besonders umstritten: Die Gattung Ophrys umfasst je nach Auffassung nur 10 oder bis zu 350 Arten. Früher nahm man an, dass Hybridisierung für die große Variabilität der Ragwurzen verantwortlich ist. Die Tatsache, dass die Blüten jedes Individuums etwas unterschiedlich aussehen, lässt sich jedoch leicht als Maßnahme zur Vermeidung einer Selbstbestäubung (durch Wiedererkennen der schon besuchten Blüte) erklären, was bedeutet, dass diese Eigenschaft einen Selektionsvorteil mit sich brachte. Die vielen lokalen Varianten der Orchideen werden von den unterschiedlichen Autoren als Formen, Unterarten, als eigene Arten oder nur als individuelle Variabilität verstanden. Untersuchungen der bestäubenden Insektenarten zeigen jedoch, dass die verschiedenen Formen in den meisten Fällen durch unterschiedliche Insekten bestäubt werden, insbesondere, wenn sie im selben Gebiet auftreten. Auch wenn die optischen oder genetischen Unterschiede zwischen diesen Varianten nur gering sind, müssen sie entsprechend dennoch als getrennte Arten angesehen werden, da sich diese Populationen aufgrund der Artspezifität der Bestäuber nicht mehr vermischen. So besteht z.B. die Art Ophrys fusca im Mittelmeerraum tatsächlich aus 60 verschiedenen Arten, die durch ihr geographisches Vorkommen, ihre Blütezeit und in den meisten Fällen auch durch das bestäubende Insekt voneinander isoliert sind.
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