Die archaische Epoche umfasst etwa das 7. und das 6. Jhd. v. Chr. In dieser Zeit vollzog sich im griechischen Raum, d.h. auf dem griechischen Festland, den Inseln der Ägäis und an der kleinasiatischen Küste, ein bemerkenswerter kultureller Aufschwung, und die charakteristische, allbekannte „griechische Kultur“ mit ihren bedeutenden Errungenschaften bildete sich heraus. Nach dem Untergang der Königreiche der vorangegangenen geometrischen Epoche formierte sich trotz der weitgehend einheitlichen Kultur kein übergreifender griechischer Staat, sondern die diversen Städte organisierten sich als einzelne, voneinander unabhängige Stadtstaaten (póleis), unter denen Athen und Sparta die wichtigsten waren. Diese wurden im 7. Jahrhundert v. Chr. überwiegend von der Aristokratie regiert; später entstanden auch Tyranneien sowie schließlich Demokratien.
Technik und Handwerk erfuhren in der archaischen Epoche einen bedeutenden Aufschwung. In der Keramik herrschte ein östlich beeinflusster Stil vor; die bedeutendste Schule war die von Korinth, die den melanomorphen Stil entwickelte (schwarze Figuren auf rötlichem Grund). Dargestellt wurden vor allem Motive der Götter- und Heldenwelt. Nun entstanden auch die ersten bedeutenden Werke der Marmorbildhauerei; bemerkenswert sind vor allem die großen Statuen (koúroi und kóres). Große Tempel wurden errichtet; auf dem griechischen Festland bildete sich der dorische, auf den Inseln und in Kleinasien der ionische Stil heraus.
Die Schifffahrt blühte auf ebenso wie der Handel, der im Mittelmeergebiet nun überwiegend in griechischer Hand war. Die ersten Münzen wurden geprägt; diese Erfindung übernahmen die Griechen von den kleinasiatischen Lydern, aber die Ionier waren die ersten, die Münzen in großem Stil verwendeten. Entlang des gesamten Mittelmeeres sowie des Schwarzen Meeres gründeten die griechischen Stadtstaaten Kolonien, von denen viele sich selbst zu bedeutenden Städten entwickelten.
Im Vergleich zur vorangegangen geometrischen Epoche (dem „Dunklen Zeitalter“) sind uns wesentlich mehr Zeugnisse aus der archaischen Epoche erhalten. Die Schrift errang nun eine weit größere Bedeutung, und wir kennen die Werke einer ganzen Reihe bedeutender Dichter. Die ersten Philosophen wie Thales, Pythagoras und Heraklit legten die Grundsteine der Wissenschaft.
Naxos in der archaischen Epoche
Während der archaischen Epoche errang Naxos die Vorherrschaft über die Kykladen; zahlreiche Spuren zeugen von der bedeutenden, schnellen Entwicklung der Insel. Der Besucher kann auf Naxos die Ruinen dreier Tempel, zwei monumentale Statuen und die Überreste einer Wasserleitung besichtigen, die aus der archaischen Epoche stammen. Trotzdem ist unser Wissen über das archaische Naxos beschränkt; auch in der antiken Literatur und Geschichtsschreibung sind nur wenig Berichte über die Insel während dieser Epoche finden. Außerdem gibt es keine nennenswerte Ausgrabungsstätte aus dieser Zeit auf Naxos, die uns Informationen zum täglichen Leben ihrer Bewohner liefern könnte. Das liegt unter anderem daran, dass die Kallípolis genannte Hauptsiedlung der Insel über fast alle Jahrtausende der naxiotischen Geschichte an derselben Stelle gelegen hat, in der Chóra, die auch heute noch überbaut und somit der archäologischen Untersuchung kaum zugänglich ist. Es ist aber sicher, dass die Insel in der Antike reich bevölkert war, zeitweise muss sie alten Quellen zufolge eine Bevölkerung von etwa 100.000 Menschen besessen haben, fast zehnmal mehr als heute. Während der archaischen Epoche gründeten die Naxioten zwei Kolonien auf der Nachbarinsel Amorgos, ein Anzeichen dafür, dass es auf Naxos einen Bevölkerungsüberschuss gab.
Bedeutende Werke der archaischen Epoche auf Naxos:
- Das Heiligtum der Quellen und der Steinbrüche bei Mélanes: 7. Jhd. (ältere Vorläufer)
- Der Dionysos-Tempel in Íria: 670 v. Chr. (ältere Vorläufer)
- Der Kouros von Apóllonas: 6. Jhd. v. Chr.
- Die Wasserleitung von Mélanes zur Chora: 6. Jhd. v. Chr.
- Die Kouroi von Mélanes: etwa 550 v. Chr.
- Die Portára und der Apollon-Tempel in der Chóra: 530 v. Chr.
- Der Demeter-Tempel bei Sangrí: 530 v. Chr.
Lage der Sehenswürdigkeiten der Archaischen Epoche
Die Keramik
Die naxiotische Keramik der archaischen Epoche ist in recht konservativem Stil gehalten. Es hat eine bedeutende Produktion auf der Insel gegeben, die aber hauptsächlich dem Eigenbedarf diente. Naxische Keramik ist an vielen Stellen des Mittelmeeres, von Syrien bis nach Sizilien, gefunden worden, aber es handelt sich meist je nur um wenige Stücke; nur auf Delos taucht Keramik von Naxos in großer Menge auf, was die bedeutende Aktivität der Naxioten auf der Insel des Apollon beweist.
Keramik der archaischen Epoche im Museum in Naxos
Naxos als Handelsmacht
Die Bedeutung der Insel Naxos in der Schifffahrt wird vor allem im florierenden Export von Marmor und Marmorstatuen deutlich, der wohl die Hauptquelle des bedeutenden Reichtums der Insel in der archaischen Epoche darstellte. Auch der Schmirgel muss im Export eine Rolle gespielt haben; wir wissen aber leider nur wenig über die Bedeutung des Schmirgels in der Antike. Ferner scheint die Insel Naxos diverse landwirtschaftliche Produkte exportiert zu haben, insbesondere Wein; aber auch die süßen Mandeln der Insel und ihre guten Ziegenrassen waren berühmt.
Schon im Jahr 735 v. Chr. gründeten die Naxioten gemeinsam mit der bedeutendsten griechischen Handelsmacht der (frühen) archaischen Epoche, der Polis Chalkida auf der Insel Euböa, die erste griechische Kolonie auf Sizilien. Diese erhielt den bis heute überlieferten Namen Naxos, war aber ganz überwiegend euböisch geprägt; naxiotische Produkte spielten eine untergeordnete Rolle. Trotzdem zeugt auch diese Tatsache von der Bedeutung der Insel Naxos in der Schifffahrt.
Vor allem gegen das Ende dess 6. Jhds. v. Chr. importierten die Naxioten bedeutende Mengen schwarzfiguriger attischer Keramik; dies deutet ebenfalls auf eine Gesellschaft mit beträchtlichem Wohlstand hin. In den Jahren 515 bis 505 v. Chr., also gegen Ende der archaischen Epoche, soll Naxos eine Vormachtstellung in der Schifffahrt der Ägäis innegehabt haben. Von Interesse ist auch die Tatsache, dass die Insel Naxos schon im 6. Jhd. v. Chr. Silbermünzen schlug, die offensichtlich großräumig als Zahlungsmittel anerkannt wurden; naxiotische Münzen sind vor allem im östlichen Mittelmeergebiet (Syrien, Libanon, Ägypten und Kleinasien) gefunden worden.
Die Insel des Dionysos
Es ist kein Zufall, dass Naxos als Heimat des Dionysos betrachtet wurde – insbesondere im Vergleich zu den übrigen Kykladen besaß die Insel eine blühende Landwirtschaft. Herodot bezeichnete das fruchtbare und wasserreiche Naxos gar als „Glücklichste der Inseln“ und „kleines Sizilien“. Die gesamte Geschichte von Naxos ist geprägt von ihrer Fruchtbarkeit, die eine reiche eigene Produktion ermöglichte, so dass die Insel an landwirtschaftlichen Produkten autark war und eine bedeutende Bevölkerung ernähren konnte.
Der Fruchtbarkeits-Kult des Dionysos erscheint auf Naxos schon erstaunlich früh, in der mykenischen Epoche, als das erste Heiligtum des Gottes an der Stelle des späteren Dionysos-Tempels von Iria errichtet wurde. Der archaische Dionysos-Tempel war der größte Tempelbau der Kykladen, und die Dionysien, die Feierlichkeiten zu Ehren des Dionysos, das bedeutendste Fest der Insel. Eine Zeit lang war der höchste Priester des Dionysos gleichzeitig das Oberhaupt der Insel. Auf den ältesten naxischen Münzen ist Dionysos oder eines seiner Symbole abgebildet.
Außer Dionysos wurde auf Naxos insbesondere Demeter verehrt, die ebenfalls für die Landwirtschaft „zuständig“ war, außerdem Apollon, sozusagen das Gegenstück zum Dionysos, sowie Zeus, der Göttervater. Keinerlei Hinweise gibt es auf eine Verehrung des Kriegsgottes Ares, des Hephästos oder der Aphrodite auf der Insel.
Der naxiotische Marmor und seine Bedeutung für die Insel
Die bedeutendsten Produkte von Naxos waren ohne Zweifel der einzigartige Schmirgel („náxia pétra“) und der Marmor, die beide schon seit der Frühen Bronzezeit genutzt und exportiert wurden. Während über die Rolle des Schmirgels in der frühen Entwicklung der Insel kaum etwas bekannt ist, sind wir über die Technik der Marmorbearbeitung, die Bildhauerkunst und die Marmorarchitektur besser informiert. Und erst deren Untersuchung beleuchtet wirklich die Stellung von Naxos in der archaischen Zeit.
Schon in der Frühen Bronzezeit entwickelten sich die Kykladen und insbesondere auch Naxos mit der Herstellung der bekannten, stilvollen Marmoridole und der erstaunlichen Marmorvasen zu einem Zentrum der Bearbeitung dieses vornehmen Materials. Aber auch während der archaischen Epoche zeichneten sich die Naxioten in der Marmorbearbeitung besonders aus. Auf der Insel entstanden die ersten griechischen Marmorstatuen, insbesondere die ersten und größten Kouroi, d.h. Statuen von lebens- oder überlebensgroßen Ausmaßen. Die erste Großplastik Griechenlands und ganz Europas war eine im Jahr 660 v. Chr. von der Naxierin Nikandre in Delos gestiftete Statue der Artemis.
Auch in der Entwicklung der griechischen Tempelarchitektur spielte Naxos eine besondere Rolle. Auf der Insel wurden die ersten Tempel errichtet, die als reine Marmorbauten geplant waren. Von besonderer Bedeutung für die Entwicklung der Tempelarchitektur Griechenlands sind der große früh-archaische Tempel des Dionysos bei Íria in der Nähe der Chóra, damals der größte Tempelbau der Kykladen, und der „kleine, aber feine“ Demeter-Tempel beim Dorf Sangrí, beide im inselionischen Baustil.
der Kouros von Apóllonas
der Demeter-Tempel bei Sangrí
Kontakte nach Ägypten und zu den Nachbarinseln
Die archaischen naxiotischen Marmorstatuen bezeugen eine Verbindung der Insel mit Ägypten: Die Statuen sind gemäß dem ägyptischen Kanon hergestellt und übernehmen die Körperhaltung der ägyptischen Statuen; außerdem gleichen spezielle Motive wie die von Naxioten gestiftete Sphinx in Delphi und die Löwen in Delos ägyptischen Vorbildern so sehr, dass man davon ausgehen muss, dass die naxiotischen Bildhauer persönlich in Ägypten gewesen sein müssen. Das wirft ein neues Licht auf die Bedeutung der Insel in der archaischen Epoche: Es bezeugt, dass die Schiffe der Naxioten nicht nur die nähere Umgebung befuhren, sondern das gesamte östliche Mittelmeer erreichten. Der Kontakt zu Ägypten lässt sich kaum anders als durch Handelsbeziehungen erklären – zeugt er vielleicht von einem Handel mit dem nur auf Naxos vorkommenden Schmirgel? Auf jeden Fall ist die Tatsache, dass die von Ägypten befruchtete Entwicklung in der Marmorplastik in ganz Griechenland zuerst auf Naxos Fuß fasste, ein klarer Beweis für die überregionale Bedeutung der Insel zu dieser Zeit, für ihren Wohlstand und gleichzeitig für ihre kulturelle Offenheit und ihren „Schwung“.
Von Naxos wurden im Laufe der Jahrzehnte nicht nur Marmor und fertige Statuen, sondern vor allem auch die Technik der Marmorbearbeitung und die charakteristische inselionische Tempelarchitektur auf Nachbarinseln, aber auch auf das Festland exportiert – naxiotische Statuen oder Statuen aus naxiotischem Marmor finden sich beispielsweise in Rhodos, Samos, Athen, Delphi und auf Sizilien; wobei die weite Verteilung der naxiotischen Marmorprodukte nicht nur den Höhenflug der Wirtschaft der Insel in dieser Zeit beweist, sondern auch die Fähigkeiten der Naxioten in der Schifffahrt.
Von besonderem Interesse ist der Beitrag der Insel Naxos zur Entwicklung des Heiligtums des Apollon und der Artemis auf der benachbarten Insel Delos, die sich in der archaischen Epoche unter naxiotischer Kontrolle befand. In dieser Zeit wurden hier die ersten großen Tempel gegründet, und die Naxioten errichteten bedeutende Bauwerke und Monumente wie das Naxier-Oikos, die Stoa der Naxier, die Löwenallee und die kolossale Apollon-Statue, die größte Marmorstatue, die je in Griechenland aufgestellt wurde – wohl der deutlichste Beweis für die Macht, den Wohlstand und den Repräsentationswillen der Naxioten. Der inselionische Stil gelangte durch die von den Kykladeninseln gestifteten delphischen Schatzhäuser auch auf das Festland und wurde später beispielsweise im Erechtheion und im Nike-Tempel der Athener Akropolis nachgeahmt.
der Naxier-Oikos auf Delos
Von der kolossalen Apollon-Statue auf Delos sind heute nur noch kümmerliche Reste erhalten.
die Löwenallee auf Delos
Aristokratie und Tyrannei
Die Insel Naxos wurde in der frühen archaischen Epoche von der Aristokratie regiert, und der Stil der Keramik zeigt, dass die Naxioten im Vergleich beispielsweise zu den Athenern eher konservativ eingestellt waren.
Im Jahre 537 v. Chr. errang der naxische Adelige Lygdamis die Herrschaft über die Insel. Lygdamis hatte dem Athener Tyrannen Peisistratos geholfen, die Macht wieder zu ergreifen, nachdem er von seinen Widersachern abgesetzt worden war. Zum Dank half Peisistratos anschließend dem Naxier, die Aristokraten der Insel zu vertreiben und eine Tyrannei zu errichten, wobei als Tyrann der Repräsentant der bäuerlichen Unterschicht im Gegensatz zum Adel verstanden wurde – der Begriff „Tyrann“ hatte noch keine negative Belastung.
Lygdamis führte die Insel zu bedeutender Blüte; unter seiner Regierung wurde mit dem Bau eines großen, repräsentativen Apollo-Tempels bei der Hauptstadt mit seinem gigantischen, aus sechs Meter langen Marmorblöcken bestehenden Tor (der Portara) begonnen. Auch der Demeter-Tempel bei Sangrí wurde während seiner Regierungszeit errichtet. Der Kult des Dionysos gelangte nun zu seiner höchsten Bedeutung. Lygdamis hatte die Sympathie der bäuerlichen Unterschicht unter anderem dadurch gewonnen, dass er ihnen wieder das Recht zur Ausübung der althergebrachten Riten des für sie so wichtigen Dionysos-Kultes einräumte, der ihnen von der Aristokratie verwehrt worden war.
der Apollon-Tempel bei der Chóra mit seinem gigantischen Tempeltor, der Portara
Lygdamis brachte die Steinbrüche der Insel in staatlichen Besitz. Nun begann jedoch nach und nach der Niedergang der naxiotischen Marmorplastik. Mit der höheren Entwicklung der Technik wurde der naxiotische Marmor im Handel vom parischen (von der Nachbarinsel Paros) und attischen (pendelischen) verdrängt: Diese waren zwar schwerer abzubauen, da sie nur in geringem Maß oberirdisch anstanden, hatten aber aufgrund ihrer feineren Körnung eine höhere Qualität.
Außer den beeindruckenden Bauwerken auf der Insel selbst sowie auf der heiligen Insel Delos zeugt von der Bedeutung der Insel Naxos in der archaischen Epoche auch die Tatsache, dass es dem Tyrannen Lygdamis gelang, mehrere Nachbarinseln unter seine Kontrolle zu bringen, so die Inseln Paros und Andros.
Das Ende der archaischen Epoche
Die Herrschaft des Tyrannen Lygdamis über Naxos endete im Jahr 524 v. Chr., als die Insel von Spartiaten eingenommen wurde, die sich auf einem Feldzug gegen Polykrates, den mit Lygdamis befreundeten Tyrannen von Samos, befanden. Die Spartiaten übergaben die Herrschaft über die Insel wieder an die naxiotischen Aristokraten. Trotz dieser politischen Veränderungen florierte die Wirtschaft der Insel ungebrochen und Naxos erreichte ungeachtet seiner geringen Größe eine derartige Stärke, dass es nur wenig später dem persischen Heer seine erste Niederlage gegen Griechen beibringen konnte. Im letzten Jahrzehnt des 6. Jhds. v. Chr., zu Beginn der klassischen Epoche, wurden die naxiotischen Aristokraten vom Volk entmachtet und eine Demokratie eingerichtet.
siehe auch:
- Geschichte
- Kykladenkultur
- Die mykenische Epoche
- Die geometrische Epoche
- Die klassische Epoche
- Dionysos und die Insel Naxos
- Karneval auf Naxos
- Karneval in Apiranthos: die Koudounati
- Delos
- Die Athener Akropolis
- Delfi
- Die Schmirgelminen von Naxos
- Das Heiligtum der Quellen und der Steinbrüche bei Mélanes: 7. Jhd. (ältere Vorläufer)
- Der Dionysos-Tempel in Íria: 670 v. Chr. (ältere Vorläufer)
- Der Kouros von Apóllonas: 6. Jhd. v. Chr.
- Die Wasserleitung von Mélanes zur Chora: 6. Jhd. v. Chr.
- Die Kouroi von Mélanes: etwa 550 v. Chr.
- Die Portára und der Apollon-Tempel in der Chóra: 530 v. Chr.
- Der Demeter-Tempel bei Sangrí: 530 v. Chr.