Skip to main content

Die archaische Epoche

Die archaische Epoche umfasst etwa das 7. und das 6. Jhd. v. Chr, also die erste Phase der Zeit, die man gewöhnlich als „Antike“ versteht. In diesen zwei Jahrhunderten fand im griechischen Raum, d.h. auf dem griechischen Festland, den Inseln der Ägäis und an der kleinasiatischen Küste, ein bemerkenswerter kultureller Aufschwung statt, und die charakteristische, allbekannte „griechische Kultur“ mit ihren bedeutenden Errungenschaften bildete sich heraus. Nach dem Untergang der Königreiche der vorangegangenen geometrischen Epoche formierte sich trotz der weitgehend einheitlichen Kultur kein übergreifender griechischer Staat, sondern die diversen Städte organisierten sich als einzelne, voneinander unabhängige Stadtstaaten (póleis), unter denen Athen und Sparta die wichtigsten waren. Diese wurden im 7. Jahrhundert v. Chr. überwiegend von der Aristokratie regiert; später entstanden auch Tyranneien sowie schließlich Demokratien.

Technik und Handwerk erfuhren in der archaischen Epoche einen bedeutenden Aufschwung. In der Keramik begann man, die Gegenstände mit menschlichen Figuren zu verzieren, die nun oft sehr naturgetreu und mit feinen Details ausgeführt waren. Korinth nahm bald die Stelle der bedeutendsten Schule ein; hier wurde der schwarzfigurige Stil der Vasenmalerei entwickelt, in dem schwarze Figuren auf rötlichen Hintergrund gezeichnet wurden. Dargestellt wurden vor allem Motive der Götter- und Heldenwelt. Zur selben Zeit entstanden auch die ersten bedeutenden Werke der Marmorbildhauerei; bemerkenswert sind vor allem die großen Statuen (koúroi und kóres). Große Tempel wurden errichtet; auf dem griechischen Festland bildete sich der dorische, auf den Inseln und in Kleinasien der ionische Stil heraus.


Schwarzfigurige Trinkschale vom berühmten Vasenmaler Exekias; abgebildet ist der Gott Dionysos (als er von Piraten entführt wurde), aus Wikipedia

Die Schifffahrt blühte auf ebenso wie der Handel, der im Mittelmeergebiet nun überwiegend in griechischer Hand war. Die ersten Münzen wurden geprägt, eine Erfindung, die die Griechen von den kleinasiatischen Lydern übernahmen. Die Ionier waren die ersten, die Münzen in großem Stil verwendeten. Entlang des gesamten Mittelmeeres sowie des Schwarzen Meeres gründeten die griechischen Stadtstaaten Kolonien, von denen viele sich zu bedeutenden Städten entwickelten.

Aus der archaischen Epoche sind zahlreiche Zeugnisse erhalten, die uns ein recht genaues Bild von dieser Zeit vermittlen, insbesondere im Vergleich zur vorangegangen geometrischen Epoche (dem „Dunklen Zeitalter“). Die Schrift errang bald eine große Bedeutung. Die ersten Philosophen wie Thales, Pythagoras und Heraklit legten die Grundsteine der Wissenschaft und Hesiod schrieb seine bedeutenden Lehrgedichte, die sich mit der Mythologie und Götterwelt, aber auch mit dem alltäglichen Leben der Bauern beschäftigen.

Naxos in der archaischen Epoche

Während der archaischen Epoche errang Naxos die Vorherrschaft über die Kykladen; zahlreiche Spuren zeugen von der bedeutenden und schnellen Entwicklung der Insel. Alten Quellen zufolge muss die Insel teilweise eine Bevölkerung von etwa 100.000 Menschen besessen haben, fast zehnmal mehr als heute. Während der archaischen Epoche gründeten die Naxioten zwei Kolonien auf der Nachbarinsel Amorgos, ein Anzeichen dafür, dass es auf Naxos einen Bevölkerungsüberschuss gab.

Der Besucher kann auf Naxos die Ruinen dreier Tempel, zwei monumentale Statuen und die Überreste einer Wasserleitung besichtigen, die aus der archaischen Epoche stammen. Trotzdem ist unser Wissen über das archaische Naxos beschränkt; auch in der antiken Literatur und Geschichtsschreibung sind nur wenig Berichte über die Insel während dieser Epoche finden (ein Werk des Historikers und Philosophen Aglaosthenes über Naxos wird zwar öfter von anderen antiken Schriftstellern zitiert, ist aber selbst nicht erhalten). Es gibt keine nennenswerten Ausgrabungen von Siedlungen aus der archaischen Zeit auf Naxos, die uns Informationen zum täglichen Leben der Bewohner liefern könnten. Das liegt unter anderem daran, dass die Hauptsiedlung der Insel während der über sechs Jahrtausende der naxiotischen Geschichte überwiegend an derselben Stelle gelegen hat wie heute, in der Chóra, die immer noch überbaut und somit der archäologischen Untersuchung kaum zugänglich ist. Die blühende Siedlung wurde in der archaischen Epoche Kallípolis genannt, d.h. „gute Stadt“.

Inschrift am Zeus-Berg
archaische Inschrift am Zeus-Berg: „oros dios milosiou“ = die Grenze de Heiligen Bezirks von Zeus dem Wettermacher / Beschützer der Herden

Bedeutende Denkmäler und Bauwerke der archaischen Epoche auf Naxos:

  1. Der Dionysos-Tempel in Iria
  2. Die Portara und der Apollon-Tempel in der Chora
  3. Der Demeter-Tempel bei Sangri
  4. Das antike Heiligtum bei Flerio (Mélanes)
  5. Die Kouroi von Flerio (Melanes)
  6. Der Kouros von Apollonas

Die Keramik

Die naxiotische Keramik der archaischen Epoche ist in recht konservativem Stil gehalten. Es hat eine bedeutende Produktion auf der Insel gegeben, die aber hauptsächlich dem Eigenbedarf diente. Keramik aus Naxos ist an vielen Stellen des Mittelmeeres, von Syrien bis nach Sizilien, gefunden worden, aber es handelt sich meist je nur um wenige Stücke; nur auf Delos taucht Keramik von Naxos in großer Menge auf, was die bedeutende Aktivität der Naxioten auf der Insel des Apollon beweist.


Keramik der archaischen Epoche im Museum in Naxos

Naxos als Handelsmacht

Naxos hat in der archaischen Epoche einen florierenden Export mit Marmor und Marmorstatuen betrieben, und auch mit Schmirgel wurde sicher gehandelt. Außerdem wurden diverse landwirtschaftliche Produkte exportiert, insbesondere Wein; aber auch die süßen Mandeln der Insel und ihre guten Ziegenrassen waren berühmt.

Schon im Jahr 735 v. Chr. gründeten die Naxioten gemeinsam mit der bedeutendsten griechischen Handelsmacht der frühen archaischen Epoche, der Polis Chalkida auf der Insel Euböa, die erste griechische Kolonie auf Sizilien. Diese war überwiegend euböisch geprägt; erhielt aber trotzdem den bis heute überlieferten Namen Naxos. Auch dies bezeugt die Bedeutung von Naxos in Schifffahrt und Handel.

Vor allem gegen Ende des 6. Jhds. v. Chr. importierten die Naxioten bedeutende Mengen schwarzfiguriger attischer Keramik; dies deutet ebenfalls auf eine Gesellschaft mit beträchtlichem Wohlstand hin. In den Jahren 515 bis 505 v. Chr., also gegen Ende der archaischen Epoche, soll Naxos eine Vormachtstellung in der Schifffahrt der Ägäis innegehabt haben. Von Interesse ist auch die Tatsache, dass die Insel Naxos schon im 6. Jhd. v. Chr. Silbermünzen schlug, die offensichtlich großräumig als Zahlungsmittel anerkannt wurden; naxiotische Münzen sind vor allem im östlichen Mittelmeergebiet (Syrien, Libanon, Ägypten und Kleinasien) gefunden worden.


Diese Münze, auf der der Weingott Dionysos und ein Satyr aus seinem Gefolge abgebildet sind, stammt nicht von der Insel Naxos, sondern aus der sizilianischen Kolonie Naxos; die naxiotischen Silbermünzen haben jedoch recht ähnlich ausgesehen. Abbildung aus Wikipedia

Die Insel des Dionysos

Es ist kein Zufall, dass Naxos als Heimat des Dionysos betrachtet wurde – insbesondere im Vergleich zu den übrigen Kykladen besaß die Insel eine blühende Landwirtschaft. Herodot bezeichnete das fruchtbare und wasserreiche Naxos gar als „Glücklichste der Inseln“ und „kleines Sizilien“. Die gesamte Geschichte von Naxos ist geprägt von ihrer Fruchtbarkeit, die eine reiche eigene Produktion ermöglichte, so dass die Insel an landwirtschaftlichen Produkten autark war und eine bedeutende Bevölkerung ernähren konnte.

Der Fruchtbarkeits-Kult des Dionysos erscheint auf Naxos schon erstaunlich früh, in der mykenischen Epoche, als das erste Heiligtum des Gottes an der Stelle des späteren Dionysos-Tempels von Iria errichtet wurde. Der archaische Dionysos-Tempel war der größte Tempelbau der Kykladen, und die Dionysien, die Feierlichkeiten zu Ehren des Dionysos, das bedeutendste Fest der Insel. Eine Zeit lang war der höchste Priester des Dionysos gleichzeitig das Oberhaupt der Insel. Auf den naxischen Münzen war Dionysos oder eines seiner Symbole abgebildet (s.o.).

Außer Dionysos wurde auf Naxos insbesondere Demeter verehrt, die ebenfalls für die Landwirtschaft „zuständig“ war, außerdem Apollon, sozusagen das Gegenstück zum Dionysos, sowie Zeus, der Göttervater. Keinerlei Hinweise gibt es auf eine Verehrung des Kriegsgottes Ares, des Hephästos oder der Aphrodite.

Der naxiotische Marmor und seine Bedeutung für die Insel

Die bedeutendsten Produkte von Naxos waren ohne Zweifel der einzigartige Schmirgel („náxia pétra“) und der Marmor, die beide schon seit der Frühen Bronzezeit genutzt und exportiert wurden. Während über die Rolle des Schmirgels in der frühen Entwicklung der Insel kaum etwas bekannt ist, sind wir über die Technik der Marmorbearbeitung, die Bildhauerkunst und die Marmorarchitektur besser informiert. Und erst deren Untersuchung beleuchtet wirklich die Stellung von Naxos in der archaischen Zeit.

Schon in der Frühen Bronzezeit entwickelten sich die Kykladen und insbesondere auch Naxos mit der Herstellung der bekannten, stilvollen Marmoridole und der erstaunlichen Marmorvasen zu einem Zentrum der Bearbeitung dieses vornehmen Materials. Aber auch während der archaischen Epoche zeichneten sich die Naxioten in der Marmorbearbeitung besonders aus. Auf der Insel entstanden die ersten griechischen Marmorstatuen, insbesondere die ersten und größten Kouroi, d.h. Statuen von lebens- oder überlebensgroßen Ausmaßen. Eine der ersten bekannten Großplastiken Griechenlands war eine im Jahr 660 v. Chr. von der Naxierin Nikandre in Delos gestiftete Statue der Artemis.

Auch in der Entwicklung der griechischen Tempelarchitektur spielte Naxos eine besondere Rolle. Auf der Insel wurden die ersten Tempel errichtet, die als reine Marmorbauten geplant waren. Von besonderer Bedeutung für die Entwicklung der Tempelarchitektur Griechenlands sind der große früh-archaische Tempel des Dionysos bei Íria in der Nähe der Chóra, damals der größte Tempelbau der Kykladen, und der „kleine, aber feine“ Demeter-Tempel beim Dorf Sangrí, beide im inselionischen Baustil.

der Kouros von Apollonas
der Kouros von Apóllonas


der Demeter-Tempel bei Sangrí

Kontakte nach Ägypten und zu den Nachbarregionen

Die archaischen naxiotischen Marmorstatuen bezeugen eine Verbindung der Insel mit Ägypten: Die Statuen sind gemäß dem ägyptischen Kanon hergestellt und übernehmen die Körperhaltung der ägyptischen Statuen; außerdem gleichen spezielle Motive wie die von den Naxioten gestiftete Sphinx in Delfi und die Löwen in Delos ägyptischen Vorbildern so sehr, dass man annehmen muss, dass die naxiotischen Bildhauer persönlich in Ägypten gewesen sind und die ägyptischen Werke dort gesehen haben. Es scheint also, dass die Schiffe der Naxioten nicht nur die nähere Umgebung befuhren, sondern weite Bereiche des östlichen Mittelmeeres erreichten. Der Kontakt zu Ägypten lässt sich kaum anders als durch Handelsbeziehungen erklären – zeugt er vielleicht von einem Handel mit dem nur auf Naxos vorkommenden Schmirgel? Auf jeden Fall ist die Tatsache, dass die von Ägypten befruchtete Entwicklung in der Marmorplastik in ganz Griechenland zuerst auf Naxos Fuß fasste, ein klarer Beweis für die überregionale Bedeutung der Insel zu jener Zeit, für ihren Wohlstand und gleichzeitig für ihre kulturelle Offenheit und ihren „Schwung“.

Von Naxos wurden im Laufe der Jahrzehnte nicht nur Marmor und fertige Statuen, sondern vor allem auch die Technik der Marmorbearbeitung und die charakteristische inselionische Tempelarchitektur auf Nachbarinseln, aber auch auf das Festland exportiert – Statuen von Naxos oder Statuen im naxiotischen Stil finden sich beispielsweise in Rhodos, Samos, Athen, Delphi und auf Sizilien.

Von besonderem Interesse ist der Beitrag der Insel Naxos zur Entwicklung des Heiligtums des Apollon und der Artemis auf der benachbarten Insel Delos, die sich in der archaischen Epoche unter naxiotischer Kontrolle befand. In dieser Zeit wurden hier die ersten großen Tempel gegründet, und die Naxioten errichteten bedeutende Bauwerke und Monumente wie das Naxier-Oikos (möglicherweise der erste, ursprüngliche Apollon-Tempel), die Stoa der Naxier, die Löwenallee und die kolossale Apollon-Statue, die größte Marmorstatue, die je in Griechenland aufgestellt wurde – wohl der deutlichste Beweis für die Macht, den Wohlstand und den Repräsentationswillen der Naxioten. Der inselionische Stil gelangte über die von den Kykladeninseln gestifteten delphischen Schatzhäuser auch auf das Festland und wurde später beispielsweise im Erechtheion und im Nike-Tempel der Athener Akropolis nachgeahmt.


der Naxier-Oikos auf Delos


Von der kolossalen Apollon-Statue auf Delos sind heute nur noch kümmerliche Reste erhalten.


die Löwenallee auf Delos

Aristokratie und Tyrannei

Die Insel Naxos wurde in der frühen archaischen Epoche von der Aristokratie regiert, aber im Jahre 537 v. Chr. errang der naxische Adelige Lygdamis die Alleinherrschaft über die Insel. Eine derartige, auf der Macht eines einzigen Mannes beruhende Staatsform wurde als Tyrannis bezeichnet, wobei der Begriff anfangs keine negative Belastung hatte. Lygdamis hatte dem Athener Tyrannen Peisistratos wieder an die Macht geholfen, nachdem der von seinen Widersachern abgesetzt worden war. Zum Dank half Peisistratos anschließend dem Naxier, die Aristokraten der Insel abzusetzen und zu vertreiben. Lygdamis agierte als Repräsentant der bäuerlichen Unterschicht und hatte die Unterstützung und Sympathie der naxiotischen Unterschicht unter anderem dadurch gewonnen, dass er den Bauern wieder zur Ausübung der althergebrachten Riten des für sie so wichtigen Dionysos-Kultes verhalf, die ihnen von der Aristokratie verwehrt worden war.

Lygdamis führte die Insel zu bedeutender Blüte; unter seiner Regierung wurde mit dem Bau eines großen, repräsentativen Apollo-Tempels bei der Hauptstadt mit seinem gigantischen, aus sechs Meter langen Marmorblöcken bestehenden Tor (der Portára) begonnen. Auch der Demeter-Tempel bei Sangrí wurde während seiner Regierungszeit errichtet. Der Kult des Dionysos gelangte nun zu seiner größten Bedeutung.


der Apollon-Tempel bei der Chóra mit seinem gigantischen Tempeltor, der Portára

Lygdamis brachte die Steinbrüche der Insel in staatlichen Besitz. Nun begann jedoch nach und nach der Niedergang der naxiotischen Marmorplastik. Mit der höheren Entwicklung der Technik wurde der naxiotische Marmor im Handel vom parischen (von der Nachbarinsel Paros) und attischen (pendelischen) verdrängt: Diese waren zwar schwerer abzubauen, da sie nur in geringem Maß oberirdisch anstanden, hatten aber aufgrund ihrer feineren Körnung eine höhere Qualität.

Außer den beeindruckenden Bauwerken auf der Insel selbst sowie auf der heiligen Insel Delos zeugt von der Bedeutung der Insel Naxos in der archaischen Epoche auch die Tatsache, dass es dem Tyrannen Lygdamis gelang, mehrere Nachbarinseln unter seine Kontrolle zu bringen, so die Inseln Paros und Andros.

Das Ende der archaischen Epoche

Die Herrschaft des Tyrannen Lygdamis über Naxos endete im Jahr 524 v. Chr., als die Insel von Spartiaten eingenommen wurde, die sich auf einem Feldzug gegen Polykrates, den mit Lygdamis befreundeten Tyrannen von Samos, befanden. Die Spartiaten übergaben die Herrschaft über die Insel wieder an die naxiotischen Aristokraten. Trotz dieser politischen Veränderungen florierte die Wirtschaft der Insel ungebrochen und Naxos erreichte ungeachtet seiner geringen Größe eine derartige Stärke, dass es nur wenig später dem persischen Heer seine erste Niederlage gegen die Griechen beibringen konnte. Im letzten Jahrzehnt des 6. Jhds. v. Chr., zu Beginn der klassischen Epoche, wurden die naxiotischen Aristokraten vom Volk entmachtet und eine Demokratie eingerichtet.

weiter: Die klassische Epoche

Beiträge zur archaischen Epoche:

siehe auch:

Zum Inhaltsverzeichnis