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Flechten

Die Flechten sind eigenartige Lebewesen: Sie sind Doppelorganismen aus Pilz und Alge, die in sehr erfolgreicher Symbiose zusammenleben.

Pilze unterscheiden sich in so grundlegenden Merkmalen von den (grünen) Pflanzen, dass sie heute als eigenes Reich neben den Pflanzen und den Tieren betrachtet werden (trotzdem belasse ich sie hier im „Herbarium“). Der wesentlichste Unterschied gegenüber den Pflanzen liegt darin, dass Pilze keine Photosynthese betreiben; außerdem enthalten ihre Zellwände keine Zellulose, sondern Chitin wie die Insektenpanzer und sie benutzen als Energiespeicherstoff Glucose wie die tierischen Zellen, nicht Stärke wie die meisten Pflanzen. Außer ihrer Unfähigkeit zur Bewegung und Wahrnehmung unterscheiden sie sich von den Tieren grundsätzlich darin, dass ihre Zellen, wie die pflanzlichen, eine feste Zellwand und Zellvakuolen besitzen.

Pilze leben meist als Destruenten, das heißt, sie ernähren sich von totem organischem, meist pflanzlichem Material und spielen so eine überaus wichtige Rolle im Kreislauf der Natur. Außerdem leben zahlreiche Arten in Symbiose mit Pflanzen, und zwar als Wurzelsymbionten, wobei die Pilze den Pflanzen bei der Aufnahme von Nährstoffen aus dem Boden helfen, wofür sie von den Pflanzen mit Kohlehydraten versorgt werden. Diese Mykorrhiza-Symbiose spielt eine sehr wichtige Rolle für die Pflanzen, was sich darin zeigt, dass über 80 % der Pflanzenarten mit pilzlichen Wurzelsymbionten zusammenleben; nicht wenige Pflanzen können ohne die Mykorrhiza-Pilze nicht existieren.

Die Flechtensymbiose

Bei den Flechten sind im Gegensatz zur Mykorrhiza die dominierenden Partner in der Symbiose die Pilze, die auch die äußere Form der Flechte bestimmen (trotzdem sehen merkwürdigerweise die Flechten den Pilzen kaum ähnlich, wogegen viele Arten durchaus für eine Alge gehalten werden könnten). Etwa 20 % der bekannten Pilzarten leben als Flechten: Sie kommen in der Natur nicht allein, sondern nur mit den jeweiligen Algen vergesellschaftet – also als Flechte – vor. Jede der etwa 25.000 Flechtenarten entspricht einer Pilzart. Die Algen der Flechten gehören dagegen einer deutlich geringeren Anzahl an Arten an, so dass eine Algenart je in vielen verschiedenen Flechten auftritt; nicht selten enthält eine Flechte auch gleichzeitig mehrere Algenarten. Die Algenpartner treten in der Natur auch ohne den Pilz auf; zusammen mit dem Pilz können sie jedoch auch ungünstigere, vor allem trockenere Habitate erobern, in denen die Alge allein nicht existieren kann. Bei den Flechtenalgen handelt es sich um einzellige Grünalgen oder Blaualgen (Cyanobakterien).

In der Flechtensymbiose versorgen die Photosynthese-betreibenden Algen den Flechtenpilz mit Kohlehydraten – auf diese Weise können die Flechtenpilze im Gegensatz zu den übrigen Pilzen auf anorganischen Substraten wie Felsflächen existieren. Im Gegenzug schützt der Pilz die Alge vor zu starker Sonneneinstrahlung und hilft ihr bei der Versorgung mit Nährsalzen. Flechten verdanken ihre Überlebenstüchtigkeit vor allem ihrer Fähigkeit, ohne Schaden fast völlig austrocknen zu können – auch nach jahrelanger Trockenheit können wie oft wieder „zum Leben erwachen“.

Aufbau und Biochemie der Flechten

Flechten sind wesentlich einfacher aufgebaut als die Höheren Pflanzen – bestenfalls mit den mehrzelligen Algen besitzen sie eine gewisse Ähnlichkeit im Aufbau. Ihr Körper wird Thallus oder Lager genannt; er besteht nicht aus Wurzel, Stängel und Blatt wie bei den Pflanzen, sondern aus einem einfachen Gewebe, das aus den Pilzhyphen gebildet wird. Oft bilden die Pilzhyphen eine dichtere „Rinde“ an der Oberfläche und ein lockeres „Mark“ im Innern des Thallus. Die Algen liegen entweder in einer besonderen Algenschicht unter der oberen Rinde oder im ganzen Thallus verstreut. Die Algenzellen werden dicht von feinen Pilzhyphen umsponnen; manchmal dringen diese auch in sie ein, um den Stoffaustausch zu optimieren.

Entsprechend der Gestaltung ihres Thallus werden die Flechten in drei Wuchsformen eingeteilt, die dünnen, dem Substrat eng angeschmiegten Krustenflechen, die blattartig ausgebildeten Blattflechten und die strauchartig in die Höhe wachsenden oder bartartig hängenden Strauchflechten. Die Gallertflechten mit Cyanobakterien als Algenpartner quellen bei Wasseraufnahme gallertartig auf. Es gibt außerdem zahlreiche Flechtenarten, die parasitisch auf oder in anderen Flechten leben; von diesen sind jedoch viele so klein, dass sie kaum einmal bemerkt werden.


Hier wachsen gemeinsam Strauch- und Blattflechten sowie dicke und dünne Krustenflechten.


Die Gallertflechten (hier Collema cristatum) sind meist dunkelbraun bis schwarz gefärbt.


Die Bartflechten (Usnea) hängen bartartig von den Zweigen, auf denen sie wachsen.

Flechten besitzen keine spezielle Schicht an ihrer Oberfläche, die den Wasserverlust durch Verdunstung reduziert wie die Epidermis der Pflanzen; ebenso besitzen sie keine Wurzeln, die der Wasseraufnahme dienen, sondern bestenfalls einfache „Rhizinen“, mit denen sie am Substrat haften. Die Wasseraufnahme läuft über den gesamten Thallus ab. Dabei muss die Flechte nicht mit Wasser benetzt werden, sondern sie kann ihren Wasserbedarf auch sehr effektiv aus der Luftfeuchtigkeit decken. Dass sie keinen Verdunstungsschutz besitzt, ist kein besonderer Nachteil, da die Flechte die extremen Umweltbedingungen, denen sie an vielen ihrer Standorte ausgesetzt ist, wie große Hitze oder Kälte, nur im ausgetrockneten Zustand überleben kann. Der Flechtenpilz produziert eine chemische Substanz, die es den Molekülen der Zellen ermöglicht, den Wasserverlust unbeschadet zu überstehen.

Die Flechtenpilze stellen spezielle „Flechtenstoffe“ her, organische Säuren, die der Flechte oft ihre spezielle Farbe verleihen und auch beim Besiedeln von Fels und Stein nützlich sind, da sie deren Oberfläche erodieren und die Aufnahme von Nährsalzen erleichtern. Es sind über 600 verschiedene Flechtensäuren bekannt; ihr Auftreten, das über spezielle Reagenzien nachgewiesen werden kann, ist oft für die Bestimmung der Arten von Bedeutung.


Viele Flechten sind durch ihre Flechtensäuren intensiv gefärbt, so hier Xanthoria parietina.

Standorte der Flechten

Da in der Flechte vergleichsweise wenige Algenzellen den gesamten Pilzkörper mit Kohlehydraten versorgen müssen und die Flechte außerdem nur bei ausreichender Feuchtigkeit stoffwechselaktiv ist, wachsen Flechten sehr langsam, d.h. meist nur einige Millimeter oder Zentimeter im Jahr. Entsprechend sind sie an günstigen Standorten den Pflanzen gegenüber nicht konkurrenzfähig und werden von diesen verdrängt. Dagegen können sie ungünstige Standorte, insbesondere kalte, heiße, trockene, strahlungsreiche oder sehr nährstoffarme Habitate, erfolgreich besiedeln. Sie weisen nur einen sehr niedrigen Nährstoffbedarf auf, der im Wesentlichen aus dem durch Wind und Regen herbeigetragenen Staub gedeckt werden kann. Sie sind nicht wie die meisten Pflanzen auf Erde als Substrat angewiesen, sondern können auf nackten Gestein wachsen. Flechten kommen also vor allem in den kalten Regionen der Erde, in den Gebirgen, in nährstoffarmen Mooren und Heiden und (eingeschränkt) in trockenen Gebieten vor. Außerdem siedeln sie in Gebieten mit hoher Luftfeuchtigkeit wie nebelreichen Gebirgen. Viele Arten wachsen nicht auf dem Boden, sondern epoiphytisch auf der Rinde von Bäumen.


Squamarina lentigera ist eine typische Erdflechte.


Krustenflechten auf Granit


Krustenflechten auf Marmor


Diese Fotos einer Parmelia sulcata sind im Abstand von etwa eineinhalb Jahren aufgenommen. Man sieht, dass die Flechte in diesem Zeitraum nur etwa einen halben bis einen Zentimeter gewachsen ist.

Die Fortpflanzung der Flechten

Flechten zeigen sowohl eine geschlechtliche als auch eine ungeschlechtliche Vermehrung, wobei sich erstere allerdings auf den Pilzpartner beschränkt. Die meisten Flechtenpilze gehören zu den Schlauchpilzen (Mykorrhiza-Pilze, Hefen, Schimmelpilze, Trüffel, Becherlinge usw), deren Sporen in Schläuchen (Asci) gebildet werden. Ihre Fortpflanzungsorgane liegen als Peri- oder Apothecien im Thallus der Flechte; erstere besitzen keinen deutlichen Rand und liegen warzenförmig im Thallus mit nur einer kleinen Pore, durch die die Sporen austreten, während letztere vom Thallus durch eine abgrenzende Schicht getrennt sind und sich oft öffnen, so dass sie kleine runde Scheibchen bilden. Nur wenige Flechtenpilze gehören zu den Ständerpilzen (Mykorrhiza-Pilze, Brand- und Rostpilze, die meisten Speisepilze); diese Arten bilden meist ein unauffälliges Lager mit kleinen Hütchen als Fortpflanzungsorganen (z.B. Omphalina).


Blattflechte mit Apothecien (Parmelia quercina)

Abgesehen von dieser geschlechtlichen Fortpflanzung bildet der Pilzpartner der Flechte auch ungeschlechtliche Sporen, die Pyknosporen, die in kleinen runden, in den Thallus eingesenkten „Pyknidien“ gebildet werden. Der Nachteil der beiden bisher geschilderten Fortpflanzungsweisen ist der, dass sie nur den Pilz betreffen: Die sehr feinen Sporen werden zwar leicht und weit verbreitet, der Pilz kann sich aber nur entwickeln, wenn er an seinem neuen Wuchsort auf seine Partneralge trifft, mit der er die Symbiose eingehen kann.


Bei dieser Blattflechte sind die Pyknidien als kleine schwarze Pünktchen sichtbar.

Viele Flechtenarten haben eine weitere Form der Fortpflanzung entwickelt, in der sich Pilz und Alge gemeinsam vermehren: Hier bildet der Thallus kleine berindete Auswüchse (Isidien) oder sehr feine unberindete Körnchen (Soredien), die durch Wind und Wasser verschleppt werden.


Blattflechte mit Isidien (Parmelia tiliacea)


Blattflechte mit Soralen (Physcia caesia)

Sowohl die Apo- bzw. Perithecien, als auch die Pyknidien und die Isidien und Sorale sind artspezifisch geformt und gefärbt und für die Bestimmung der Flechten von Bedeutung.


Die kleine Krustenflechte Caloplaca citrina bildet Apothecien aus; zusätzlich ist das Lager zu Soredien aufgelöst.

Verbreitung und Vorkommen der Flechtenarten

Entsprechend ihrer sehr kleinen und leicht transportablen Fortpflanzungseinheiten (Sporen, Soredien, Isidien) sind die Flechtenarten meist weit verbreitet; viele Arten besitzen ein sehr großes Verbreitungsgebiet, wogegen es nur wenige endemische, das heißt auf ein kleines Gebiet beschränkte Arten gibt.

Die meisten Flechtenarten sind allerdings an spezielle Standortbedingungen angepasst, sowohl was das Kleinklima am Standort (Feuchtigkeit, Sonneneinstrahlung), als auch was das Substrat (pH-Wert, Struktur, chemische Zusammensetzung) betrifft. Der Wuchsort einer Flechte kann somit erfahrenen Flechtenforschern auch bei der Bestimmung der Art helfen.

Da viele Flechten nur an speziellen Standorten wachsen, gibt es umgekehrt auch an jedem Wuchsort eine spezielle Flechtenflora, und es können wie bei den höheren Pflanzen spezielle Flechtengesellschaften charakterisiert werden, die je an bestimmten Standorten auftreten und für die jeweiligen Standortbedingungen typisch sind.


Die Krustenflechten, die auf Marmor vorkommen, wachsen nicht selten größtenteils endolithisch in der oberen Steinschicht; bei diesen Arten schauen oft nur die Fortpflanzungsorgane aus dem Stein.


An feuchten Standorten wachsen auf saurem Gestein wie Granit oft sehr dicke Krustenflechten.


Die Strauchflechte Pseudevernia furfuracea benötigt viel Feuchtigkeit und kann auf Naxos nur in den höchsten Gipfellagen existieren.

Die Stammesgeschichte der Flechten

Die Flechtensymbiose ist im Lauf der Stammesgeschichte mehrfach entstanden. Eine stammesgeschichtliche Einteilung der Flechten allein macht entsprechend keinen Sinn; stattdessen müssen die Flechtenpilze innerhalb der Pilze eingeordnet werden: Die Flechtenpilze sind oft mit nicht lichenisierten Pilzarten viel näher verwandt als mit anderen Flechtenpilzen. Die Flechtensymbiose ist eine sehr alte „Erfindung“ der Evolution; die ältesten als Flechten interpretierten Fossilien sind etwa 600 Millionen Jahre alt. Vermutlich haben sich die Flechten ebenso wie die Pilze im Meer entwickelt; entsprechend ihrer Unempfindlichkeit gehörten sie sicher zu den ersten Lebewesen, die das Festland eroberten.

Flechten als Bioindikatoren

Natürlichen Umweltfaktoren wie Trockenheit, UV-Strahlung oder großer Kälte gegenüber sind viele Flechtenarten ausgesprochen resistent. Die meisten Arten sind allerdings aufgrund ihrer nur schwach geschützten Oberfläche sehr empfindlich gegenüber Luftverschmutzung, so vor allem gegenüber Schwefeldioxid und Schwermetallen, aber auch einer Eutrophierung des Substrats durch Düngereintrag usw. Entsprechend sind in den letzten Jahrhunderten viele Arten in den stark besiedelten Regionen zurückgegangen oder ausgestorben. Bei einigen Arten ist die Empfindlichkeit so groß, dass ihr Auftreten bzw Verschwinden direkte Rückschlüsse auf die Sauberkeit der Luft zulässt – sie können als Bioindikatoren verwendet werden.


Viele Ramalina-Arten sind sehr empfindlich gegen Luftverschmutzung und können nur in Gegenden mit sauberer Luft existieren.

Flechten auf Naxos

Die Kimabedingungen auf Naxos sind in den niedrigeren Lagen für die meisten Flechten zu trocken: Hier treten nur wenige Arten auf. In den feuchteren mittleren und vor allem in den höhren Lagen sind dagegen Felsen und Bäume an vielen Stellen dicht mit Flechten bewachsen. Naxos weist entsprechend seiner geologischen und landschaftlichen Vielfalt, seiner Höhe und recht hohen Feuchtigkeit zumindest innerhalb der Kykladen eine vergleichsweise reiche Flechtenflora auf – es kommen zahlreiche Arten vor, die auf den übrigen Kykladen fehlen oder sehr selten sind.

Die Untersuchung der Flechten wird leider stark dadurch erschwert, dass das Bestimmen der meisten Arten ziemlich schwierig ist. Zunächst einmal sind die meisten Arten so klein, dass ihre Merkmale nur mit einer starken Lupe gut zu erkennen sind. Außerdem muss zur sicheren Bestimmung oft der Gehalt der Flechten an Flechtensäuren durch die Farbreaktion mit speziellen, schwer zu beschaffenden Chemikalien überprüft werden. Bei vielen Arten ist zur Bestimmung die Untersuchung beispielsweise der Form der Sporen mit dem Mikroskop unerlässlich. Wie bei so vielen anderen Themen auch wird die Bestimmung der Flechten Griechenlands außerdem durch das Fehlen praktischer und umfassender Bestimmungsliteratur erschwert.

Aber dass wir nicht alle Arten bestimmen können, oder dass uns der eine oder andere Fehler bei der Bestimmung unterlaufen mag, soll uns nicht abhalten, uns mit diesen interessanten Organismen zu beschäftigen – es macht immer wieder viel Freude!

weiter:

siehe auch:

zum Weiterlesen: Flechten bei Wikipedia

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