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Schifffahrt und Handel

Die Entwicklung der Schifffahrt in der Ägäis

Es gibt weltweit nur sehr wenige Nachweise für eine sehr frühe Seeschifffahrt. In der Mittelsteinzeit (etwa 40.000 v. Chr.) wurden Amerika sowie Australien und andere Inseln des Pazifikraumes besiedelt, was nur durch die Benutzung von Schiffen möglich war (zur Besiedlung von Australien war beispielsweise eine etwa 100 km breite Wasserstraße zu überwinden; auch Amerika war selbst zur Zeit des niedrigsten Wasserstandes von Sibirien getrennt, und der schnelle Vorstoß nach Südamerika erfolgte vermutlich anhand von Schiffen entlang der Westküste).

Was Europa betrifft, so wurden als früheste bekannte Beweise für eine Schifffahrt bislang die mittelsteinzeitlichen Funde von Obsidian von der Insel Milos auf dem Festland bzw auf anderen Inseln betrachtet: Obsidian von Milos taucht in 9.000 Jahre alten Schichten in der Franchthi-Höhle auf dem Peloponnes auf. Die erst kürzlich beschriebenen mittel- und altsteinzeitlichen Werkzeuge auf Naxos beweisen jedoch, dass die ersten Menschen die griechischen Inseln schon wesentlich früher, nämlich etwa vor 100.000 Jahren, erreichten; außer auf Naxos sind menschliche Artefakte aus derselben Zeit auch auf Kreta und anderen Inseln der Ägäis und des Ionischen Meeres gefunden worden. In dieser Zeit siedelte in der gesamten Region noch nicht der Moderne Mensch (Homo sapiens), sondern der Neandertaler (Homo neanderthalensis). Unsere Ansicht über den Entwicklungsgrad dieses Frühmenschen wird durch diese neuen Funde wesentlich revolutioniert. Bisherige Funde bezeugten nur eine niedrige Kulturstufe mit einfachen Stein-, Holz- und Knochenwerkzeugen und wenigen komplizierteren Artefakten wie Spuren hergestellter Kleidungsstücke, einfache Schmuckstücke, Pigmentspuren sowie Hinweise auf eine gelegentliche Bestattung von Toten. Dass der Neandertaler schon Boote oder Flöße benutzte und mithilfe dieser die Inseln der Ägäis entweder besiedelte oder zur Gewinnung von Rohstoffen besuchte, wirft ein ganz neues Licht auf diesen Frühmenschen.

Generell ist der ägäische Raum geradezu prädestiniert für die frühe Entwicklung einer Seeschifffahrt. Sicher haben die Bewohner der umliegenden Küstenstriche schon früh versucht, die ihnen nahegelegenen Inseln zu erreichen. Nachdem der erste Schritt getan war und die Menschen einigermaßen seetüchtige Boote konstruiert hatten, war der Weg nicht weit zur Erforschung der gesamten Ägäis, insbesondere da in der einzigartigen ägäischen Inselwelt jede Insel jeweils von einer anderen aus zu sehen ist, einschließlich Kreta.

Die ägäischen Schiffe

Wir wissen nichts darüber, mit was für Booten die Steinzeitmenschen die Kykladen erreichten; aller Wahrscheinlichkeit nach wird es sich um Flöße oder einfache Einbäume gehandelt haben. Auf jeden Fall erscheint es unwahrscheinlich, dass die Menschen in dieser frühen Zeit häufig oder regelmäßig über das Meer gefahren sind. In der Frühen Bronzezeit entwickelten die Kykladenbewohner jedoch eine regelrechte Seeschiffahrt: Die klar nachweislichen Handelskontakte zwischen den Inseln und in alle näheren und viele ferneren Regionen bezeugen, dass die Kykladenbewohner nicht nur Flöße, sondern gut zu steuernde Boote besessen haben müssen.

Auch von den kykladischen Booten haben sich leider keine direkten Überreste erhalten – unsere Informationen stammen von Abbildungen der kykladischen Schiffe auf den sogenannten „Kykladenpfannen“ und von drei Schiffsmodellen aus Blei, die in einem Grab auf Naxos gefunden wurden, sowie von späteren minoischen Abbildungen. Bei den abgebildeten Schiffen handelt sich um niedrige Langboote mit bis zu 25 Ruderern und einem stark hochgezogenen Heck (oder Bug?). Vermutlich waren diese Langboote keine Handelsschiffe, sondern wurden nur für besondere Zwecke genutzt, z.B. für mit speziellen Riten oder Feiern verknüpfte Reisen oder für kriegerische Auseinandersetzungen. Die meisten kykladischen Siedlungen waren zu klein, als dass es möglich gewesen sein kann, Boote mit mehr als ein paar Menschen zu bemannen. Der gewöhnliche lokale Handel und Transport muss dementsprechend mit kleineren Booten durchgeführt worden sein, d.h. vermutlich mit Einbäumen, die möglicherweise durch aufgesetzte Planken etwas vergrößert waren.

Für weitere Handelsreisen und für die Gründung der Kolonien im Ägäisraum (vor allem auf Kreta) sowie sogar auf der Iberischen Halbinsel musste dagegen nicht nur eine ausreichende Besatzung auf dem Schiff Platz haben, sondern es mussten auch genügend Lebensmittel und sonstige Ausrüstung transportiert werden. Beispielsweise sind schon während der Steinzeit die Nutztiere (Schafe, Ziegen, Schweine und sogar Rinder) auf die Kykladen gelangt (und auf dieselbe Weise später auch bis nach Spanien transportiert worden).

Die Herstellung von „echten“ Schiffen aus Planken wurde erst möglich, nachdem die Menschen die Säge entwickelt hatten, die für die Herstellung dünner Planken erforderlich ist. Sägen treten erst während der zweiten Phase der Frühen Bronzezeit auf, als sich die Herstellung hochwertigerer Bronzelegierungen durchsetzte, da das davor überwiegend verwendete Kupfer für die Herstellung von Sägen zu weich ist. Was schließlich den Bedarf an Holz betrifft, so waren die auf den Kykladen vorkommenden Bäume vermutlich nur groß genug, um kleinere Einbaum-Boote anzufertigen; aber es gab sicherlich ausreichend große Bäume, um die Herstellung von Schiffen aus Planken zu ermöglichen, ebenso wie auf der Insel Kreta, deren Pinien, Zypressen und Wacholder einen großen Aufschwung in der Seefahrt ermöglichten und somit zur Etablierung der minoischen Seeherrschaft beitrugen.


frühbronzezeitliche Steinritzung von einem Boot mit zwei Menschen darauf; man sieht die merkwürdige Bootsform mit lang hochgezogenem Heck


Kykladenpfanne mit Schiffsabbildung, aus Wikipedia


Kykladenpfanne mit Schiffsabbildung, aus Wikipedia

Cycladic pottery boat model, Naxos, 2800–2300 BC, AshmoleanM, AN1929.26, 142323
tönernes Schiffsmodell, aus Wikipedia

Die Entstehung der Navigation

Für eine nennenswerte Seefahrt ist nicht nur Erfahrung und technisches Geschick im Schiffsbau erforderlich – auch die Navigation muss entwickelt werden. Die Bewohner der Ägäis mit ihrem klaren, meist wolkenlosen Himmel und mit der Notwendigkeit zur Navigation haben sicher besonders früh die Sterne genau beobachtet und ihre Bewegungen verfolgt. Der naxiotische Mathematiker und Hobby-Archäologe Michalis Bardanis war der Ansicht, dass die Einritzungen auf manchen der rätselhaften naxiotischen frühbronzezeitlichen Steinplatten eine Art Kalender mit Tierkreiszeichen darstellen. Wir wissen wenig über diesen Aspekt der frühren Kulturen der Ägäis, unter anderem wegen des Fehlens von schriftlichen Aufzeichnungen. Es deutet jedoch alles darauf hin, dass die Kykladenkultur eine Vorreiterrolle in der Entwicklung der Schifffahrt und der Navigation spielte.

Die Rolle des Handels

Handel wurde schon während der Steinzeit betrieben; die Nachweise für den ersten Fernhandel sind gut und gern 10.000 Jahre alt. Während der Frühen Bronzezeit wurde im Ägäisraum definitiv mit Obsidian, Kupfer, Silber, Gold und Blei gehandelt; auch der naxiotische Schmirgel ist sicher in die Liste einzureihen, auch wenn darüber nur wenig bekannt ist. Ebenfalls wurde mit Marmor und Marmorgefäßen, mit Töpferwaren und anderen Gebrauchsgegenständen Handel betrieben. Seltenere Rohstoffe stammten teilweise aus weit entfernten Gegenden, so wurde das für die Bronze benötigte Zinn teilweise aus Spanien und aus Afghanistan importiert.

Über die bedeutende Rolle, die der Handel im östlichen Mittelmeerraum etwa ein Jahrtausend später, während der mykenischen Epoche, spielte, informiert uns der großartige Fund eines gesunkenen Handelsschiffes vor der türkischen Südküste. Auch in dieser Zeit wurde noch größtenteils mit Rohstoffen wie Metallen, mit Ebenholz und Elfenbein gehandelt, aber auch mit Glas, Perlen und Töpferwaren, mit Terebinthenharz, und mit Nahrungsmitteln wie Oliven, Öl, Mandeln, Eicheln, Feigen und Granatäpfeln. Sogar Bernstein aus der Ostsee wurde auf dem Schiff gefunden.

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