Im Jahre 1204 nahmen die Franken und Venezianer im 4. Kreuzzug Konstantinopel, die Hauptstadt des byzantinischen Reiches, ein, weil der Kaiser von Byzanz ihnen nicht die versprochenen Gelder zahlen konnte, und zerstörten es – eine Katastrophe, die zu einem nicht wieder gutzumachenden Bruch zwischen den katholischen und orthodoxen Christen führte. Die Sieger teilten das eroberte Reich unter sich auf: Frankreich bekam größtenteils das Festland, Venedig die Inseln zugesprochen. Viele der Inseln waren zu dieser Zeit noch in der Hand der Griechen oder unter der Herrschaft von Piraten. Darum erklärte die venezianische Regierung, sie werde jeden ihrer Bürger, der eine Insel erobere, zum Herrscher über diese machen; er müsse jedoch die venezianische Oberherrschaft anerkennen.
venezianische Wappen über einer Tür im Kastro (Chora)
Im Jahre 1207 fuhr der venezianische Kreuzfahrer Marco Sanudo mit acht Galeeren zu den Kykladen und eroberte die südöstlichen Inseln ohne große Schwierigkeiten. Naxos war damals in der Hand genuesischer Piraten (in der Ägäis herrschte eine starke Konkurrenz zwischen Händlern aus Genua und aus Venedig um die Handelsrouten und -vorrechte). Diese zogen sich zusammen mit der griechischen Bevölkerung auf die byzantinische Burg Apalírou zurück, als sich die Venezianer der Insel näherten. Marco Sanudo, der ein fähiger und tapferer Kriegsherr war, ließ nach der Landung auf Naxos die Schiffe verbrennen, so dass seinen Männern die Rückzugsmöglichkeiten genommen waren. Nach fünfwöchiger Belagerung nahmen die Venezianer die Burg und damit die Insel Naxos ein.
Von der byzantinischen Burg Apalírou sind noch nenneswerte Reste erhalten.
Marco Sanudo ernannte sich zum Herzog der Ägäis und errichtete seinen Regierungssitz an der damals verlassenen Stelle der heutigen Hauptstadt Chora auf den antiken Ruinen. Er baute ein starkes Kastro, in dem sich die venezianischen Familien, die sich auf der Insel niederließen, vornehme Herrenhäuser errichteten, und befestigte den Hafen als Landeplatz für seine Schiffe. Die Burg Apalírou ließ er schleifen. Rund um das Kastro entstanden im Lauf der Zeit griechische Siedungen: Burgos im Norden, ebenfalls von einer Wehrmauer umgeben, und Nio Chorio im Süden. Im Laufe der Zeit nahm Marco Sanudo noch mehrere benachbarte Inseln ein, baute sein Herzogtum weiter aus und festigte seine Herrschaft.
das venezianische Kastro in der Chora
Es ist nur noch einer der Wehrtürme des Kastros erhalten.
Der Venezianer zeigte sich jedoch seiner Heimatstadt nicht treu, sondern stellte sich unter den fränkischen Kaiser Heinrich von Konstantinopel. Als er von den Venezianern abgeordnet wurde, ihnen bei der Einnahme des noch griechischen Kretas zu helfen, lief er bald zur griechischen Seite über und versuchte, jedoch erfolglos, sich selbst zum Herrn über die Insel zu machen. Später unternahm der Herzog Kriegszüge an die kleinasiatische Küste und nahm Smyrna ein, geriet dadurch jedoch in Auseinandersetzungen mit dem griechischen Herrscher von Nikaia, Theodoros Laskari. Dieser besiegte ihn mit seiner weit überlegenen Flotte und nahm ihn gefangen; er bewunderte den tapferen Venezianer jedoch so sehr, dass er ihn nicht nur wieder freiließ, sondern ihm (Berichten zufolge) auch seine Schwester zur Frau gab. Während der ganzen Jahre seiner Existenz war das kleine Herzogtum ständig in Kämpfe mit den Nachbarn, mit Piraten diverser Nationalität, die sich in der Ägäis herumtrieben, und später zunehmend auch mit den Türken verwickelt.
Die Familie Sanudo stellte bis zum Jahre 1371 die Herzöge von Naxos. Marco Sanudo hatte die Ländereien der Insel unter seinen gut fünfzig Gefährten aufgeteilt und diese zu Feudalherren ernannt. Die katholischen Feudalherren errichteten sich in den Dörfern der Insel bzw. auf ihren Ländereien wehrhafte Wohntürme, in denen sie den Sommer verbrachten. Sie herrschten insbesondere in den späteren Jahrhunderten mit großer Härte über die griechische Bevölkerung: Sie beanspruchten nicht nur ein Drittel oder sogar die Hälfte der Ernte, sondern erhoben auch bei jeder Gelegenheit zusätzliche Steuern, etwa beim Bau eines Hauses. Sie schlachteten die Tiere, die sich auf ihren Grund und Boden verirrten (und bei Bedarf auch mit Absicht darauf getrieben wurden) und ordneten die griechischen Bauern zu allerlei Zwangsarbeit ab, wie zum Erstellen öffentlicher Bauten und Straßen, aber auch zum Rudern ihrer Schiffe. Außerdem besaßen sie uneingeschränkte Rechte über die Frauen und Kinder ihrer Untergebenen.
venezianischer Wehrturm in Chalkí
venezianischer Wehrturm bei Agiá
Das Verhältnis zwischen der katholischen Oberschicht und der griechischen Bevölkerung war infolgedessen denkbar schlecht, und die katholischen Venezianer hielten sich streng von den orthodoxen Griechen getrennt. Unter Marco dem Zweiten, Enkel des ersten Herzogs, versuchten die Katholiken, die griechische Bevölkerung an der Ausübung bestimmter religiöser Bräuche zu hindern, was eine solche Empörung unter den Griechen hervorrief, dass der Herzog zur Verhinderung eines Aufstandes und zur Einschüchterung der Griechen die Burg Apáno Kástro auf der Hügelkuppe zwischen dem fruchtbaren Tal von Potamiá und der Tragaía errichten oder restaurieren ließ. Diese diente später auch als Fluchtburg bei Piratenüberfällen: Immer noch wurde die Insel von genuesischen, katalanischen, türkischen und arabischen Piraten heimgesucht. Mehrmals wurden große Teile der Bevölkerung in die Sklaverei verschleppt, die Insel verarmte und verödete. Viele Griechen wanderten auf das sicherere Kreta aus.
Die Ruinen der Burg Apáno Kástro liegen auf der Spitze eines öden Granitberges.
Von der Burg ist nicht mehr allzu viel erhalten.
Der letzte Herzog der Familie Sanudo, Nicolo dalle Carcere, Sohn einer Florentina Sanudo, versuchte die unter venezianischer Herrschaft stehende Stadt Chalkida auf Euböa zu erobern. Dadurch brachte er jedoch die Herrscher von Venedig so gegen sich auf, dass sie ihn im Jahre 1383 von Franziskus Crispi, dem Herrscher der Insel Milos, ermorden ließen und diesen zum Herzog von Naxos ernannten.
Die Herrschaft der Familie Crispi über Naxos brachte keine Verbesserung der Verhältnisse auf der Insel. Die katholische Oberschicht beutete die griechische Bevölkerung so übermäßig aus, dass viele Griechen sogar in das Osmanische Reich nach Kleinasien auswanderten.
Im Jahr 1261 hatte das Lateinische Kaiserreich nach gut 50 Jahren Existenz schon wieder ein Ende genommen und Konstantinopel wurde vom byzantinischen Folgestaat Nikaia zurückerobert. Byzanz konnte sich, allerdings stark geschwächt und mit kleinerem Staatsgebiet, weitere fast 200 Jahre halten, bis es im Jahr 1453 von den Türken eingenommen wurde, die sich immer weiter ausbreiteten. Das Herzogtum der Ägäis konnte seine Unabhängigkeit noch etwas länger bewahren.
Im Jahre 1537 wurde der Herzog Johann Crispi dem türkischen Piraten Barbarossa tributpflichtig, der schon in fast in der ganzen Ägäis seine Seeherrschaft etabliert hatte. Als er sich nach der Einnahme der Nachbarinsel Paros mit seiner großen Flotte Naxos näherte, verzichtete der Herzog auf einen Versuch der Verteidigung, ein offensichtlich aussichtsloses Unterfangen, obwohl das Kastro in der Chora bis dahin noch niemals eingenommen worden war. Barbarossa plünderte zwar die Stadt, setzte danach den Herzog aber wieder ein und beließ die Dinge auf der Insel fast unverändert, außer dass der Venezianer nur einen bedeutenden jährlichen Tribut zahlen musst. Nach dem Tod Johanns wurde sein Sohn Jakob wurde im Jahre 1566 durch einen Aufstand der unterdrückten griechischen Bevölkerung vertrieben und vom türkischen Sultan abgesetzt und inhaftiert. Damit nahm die venezianische Herrschaft über Naxos ein Ende, und die Insel wurde ins Osmanische Reich eingegliedert. Für die Bevölkerung änderte sich die Lage jedoch kaum: Die katholischen Feudalherren blieben weiterhin an der Macht und im Besitz ihrer Ländereien.
Bauwerke aus der Venezianischen Epoche auf Naxos:
- Das venezianische Kastro in der Chora
- Das venezianische Kastell Apano Kastro
- Die venezianischen Wehrtürme
- Der Wehrturm und das Kloster von Agia
- Das Jesuitenkloster in Kalamitsia
Lage der Sehenswürdigkeiten aus der Venezianischen Zeit
siehe auch: