Die byzantinischen Kirchen von Naxos, so einfach sie in vielen Fällen auch gebaut sind, sind oft mit aufwändigen Wandmalereien geschmückt, und zwar nicht nur die in den Dörfern gelegenen, sondern auch die kleinen „Feldkirchen“, die sich fernab der Siedlungen auf dem Land befinden. Alle Kirchen besaßen ursprünglich Wandmalereien, meist mit Heiligenfiguren und Szenen aus der Bibel, aber auch mit nicht-figürlichen, ornamentalen Motiven. Viele Kirchen wurden im Lauf der Jahrhunderte mit mehreren Schichten an Wandmalereien ausgestattet. Selbst die heute erhaltenen, geringen, halb zerstörten und verblichenen Reste der Wandmalereien in den Kirchen von Naxos sind noch beeindruckend. Wie müssen die Bilder erst auf den Betrachter gewirkt haben, als sie noch frisch und neu waren!
Bemerkenswert ist der Kontrast zwischen der Innen- und Außengestaltung der Kirchen: Auch viele der einfachsten und kleinsten Kirchen tragen innen doch schöne und aufwändige Malereien. Was war den Menschen an den Malereien so wichtig? Die Bilder sollten den Gläubigen in symbolischer oder anschaulicher Weise das Leben Christi und der Heiligen und die wichtigsten Inhalte der christlichen Religion nahebringen. Der christliche Glaube wurde durch sie in einer für die Gemeinde leicht verständlichen, direkt ansprechenden Art vermittelt. Wiederum ist durchaus bemerkenswert, dass es auf der kleinen Insel Naxos nicht nur genügend ausreichend wohlhabende Menschen gab, die in der Lage waren, all diese Kirchen der Insel zu errichten und auszustatten, sondern auch eine für die so vermittelte Botschaft empfängliche Bevölkerung, wodurch der Aufwand gerechtfertigt wurde.
Die Wandmalereien von Naxos weisen insgesamt zwar einen mehr oder weniger ländlichen Charakter, aber doch ein recht hohes Niveau in der Technik und künstlerischen Gestaltung auf. Die naxiotische Kirchenmalerei gehört der Kirchenkunst von Byzanz an, die sich aus der antiken griechischen Kunst und Malerei entwickelt hat: Thematik, Komposition und Ausführung entsprechen im Großen und Ganzen den zeitgleichen Malereien in anderen Teilen des Byzantinischen Reiches. Es gibt auf Naxos jedoch auch einige Beispiele von ungewöhnlicher oder einzigartiger Thematik und Darstellungsweise.
Auf Naxos sind alle Phasen der insgesamt fast tausendjährigen byzantinischen Wandmalerei mit beachtenswerter, ja fast einzigartiger Vielfalt repräsentiert: Kaum irgendwo kann man in Griechenland oder auf dem Balkan auf so kleinem Raum einen derartigen Schatz an byzantinischer Kirchen-Wandmalerei antreffen. In den meisten Kirchen sind leider nur Reste der Bemalung erhalten; es gibt aber auch einige Kirchen die noch sehr gut intakt sind.
Viele Kirchen sind mit mehreren Schichten an Wandmalereien ausgestattet; hier kann man drei Lagen erkennen, wobei die jüngste Lage eine deutlich höhere Qualität besitzt als die älteste (Ágios Panteleímonas in Lakkomérsina).
Verständlicherweise sind die meisten Kirchen von Naxos heute abgeschlossen; nur in abgelegenen, ländlichen Regionen findet man noch mit Wandmalereien ausgeschmückte Kirchen, die frei zugänglich sind. Entsprechend kann ich hier nur wenige Beispiele mit Fotos versehen; gerade die bedeutendsten Kirchen müssen leider ohne Innenfotos bleiben (in den zwei oder drei Kirchen, die offiziell zu besichtigen sind, ist das Fotografieren untersagt). Trotzdem hoffe ich, dass schon die wenigen Beispiele, die ich hier bringen kann, die Thematik ausreichend illustrieren und den Leser vielleicht animieren, sich einige Kirchen selbst anzuschauen.
Die frühchristliche Epoche, 5. und 6. Jahrhundert
Es gibt mindestens neun Kirchen auf Naxos, deren Anfänge in die frühchristliche Epoche zu datieren sind; die älteste ist vermutlich die Höhlenkirche Kalorítissa zwischen Damariónas und Sangrí, die aus dem 4. Jahrhundert stammt. Im 5. oder 6. Jahrhundert wurden die drei großen Tempel der Insel in Kirchen umgewandelt. Außerdem wurden auf Naxos in dieser Zeit mindestens zwei neue, sehr große Kirchengebäude errichtet (Ágios Stéfanos in Angídia und Ágios Matthaíos bei der Pláka). Wie alle frühchristlichen Kirchen auf Naxos waren auch diese als dreischiffige Basiliken konstruiert, mit je zwei Reihen von 5 bzw 6 Säulen (wobei antike Säulen von einem der Tempel der Insel verwendet wurden). Kleinere frühchristliche Basiliken liegen neben dem hellenistischen Turm von Chimárrou (nicht erhalten), bei Monítsia (Ágios Isídoros, mäßiger Erhaltungszustand, Foto s.u.) und bei Trípodes (Ágios Akepsimás, umgebaut und renoviert). Von den meisten dieser Kirchen existieren heute nur noch spärliche Reste; auch die besser erhaltenen weisen – mit Ausnahme der sehr interessanten Höhlenkirche Kalorítissa keine Wandmalereien mehr auf.
Die Höhlenkirche Kalorítissa aus dem 4. Jahrhundert ist die älteste Kirche der Insel. Foto von Dieter Depnering
Sie enthält bedeutende Wandmalereien aus verschiedenen Epochen, teilweise vor dem Bildersturm; die Wandmalereien auf dem Foto stammen aus dem 10. Jahrhundert. Foto von Dieter Depnering
Die spätere frühchristliche Epoche, 7. und 8. Jahrhundert
Bedeutende frühchristliche Wandmalereien aus der Zeit vor dem Bildersturm (7. und 8. Jahrhundert) gibt es außer in Kalorítissa in den Kirchen Panagía Drosianí bei Moní und Panagía Protóthroni in Chalkí. Unter diesen finden sich ungewöhnliche Darstellungen oder Anordnung der Figuren, die die damalige christliche Anschauungsweise verdeutlichen, insbesondere eine einzigartige doppelte Ausführung von Christus in der Kuppel der Panagía Drosianí als junger und als älterer Mann. Manche Charakteristika der Ausführung der frühchristlichen Wandmalereien von Naxos zeigen eine Verwandtschaft zu gleichzeitigen byzantinischen Kirchen Roms, was möglicherweise darauf zurückgeführt werden kann, dass der römische Papst Martin I. um das Jahr 653 auf Naxos in Verbannung war.
Die Kirche der Panagía Drosianí bei Moní ist eine der ältesten Kirchen von Naxos mit bedeutenden Wandmalereien, von denen die frühesten aus dem 7. Jahrhundert stammen.
Die Zeit des Bildersturms (9. und 10. Jahrhundert)
Mit insgesamt 14 Kirchen findet sich auf Naxos die im ganzen griechischen Raum mit Abstand größte Ansammlung von Kirchen, die Wandmalereien aus der Zeit des Bildersturmes zeigen. Die Thematik der Malereien ist sehr vielfältig und umfasst sowohl geometrische ornamentale Muster als auch Tierdarstellungen. Teilweise entstammt sie den frühbyzantinischen Darstellungen, teilweise sind die Motive offensichtlich von gleichzeitigen islamischen Ausführungen beeinflusst. Nur einige kleinere Abbildungen ähneln den wenigen ikonoklastischen Beispielen aus benachbarten Regionen Griechenlands (Kreta, Peloponnes, Evritania).
Es ist schon etwas erstaunlich, dass die von der byzantinischen Reichshauptstadt Konstantinopel ausgehende ikonoklastische Bewegung sich so schnell bis auf so weit entfernt gelegene, ländliche Inseln wie Naxos auswirkte. Bemerkenswert und von Bedeutung ist auch, dass in einigen Kirchen (vor allem Ágia Kyriakí bei Apíranthos, Ágios Artémios bei Sangrí und Ágios Joánnis Theológos in der Nähe des Kástro Apalírou) die nicht-figürlichen Malereien des Bildersturms auch nach dem Ende desselben um 843 v. Chr. nicht oder nur in Teilen übermalt wurden, so dass sie bis heute sichtbar sind und erhalten blieben.
Ágia Kyriakí bei Apíranthos ist eine der bedeutenden Kirchen von Naxos mit Wandmalereien aus der Zeit des Bildersturms. Die kleine, zweischiffige Kirche mit querstehendem Westanbau stammt aus dem 9. Jahrhundert.
Hier sieht man ein Beispiel der ornamentalen, nicht-figürlichen Wandmalereien dieser Kirche.
Besonders bemerkenswert sind diese Darstellungen von Hähnen, die merkwürdige Halstücher tragen.
Eine weitere (abgeschlossene) Kirche mit Wandmalereien aus der Zeit des Bildersturms ist Ágios Joánnis Theológos Adisárou südlich von Sangrí.
Reste von nicht-figürlichen Wandmalereien aus dem 10. Jahrhundert sind auch in der Kirche des Ágios Geórgios bei Apíranthos erhalten.
Hier ein Überrest nicht-figürlicher, ornamentaler Wandmalereien aus dem 9. Jahrhundert im Altarraum des Klosters Fotodotis.
Die Mittelbyzantinischen Wandmalereien des 11. und 12. Jahrhunderts
Aus dem 11. und 12. Jahrhundert sind nicht sehr viele Beispiele von Wandmalereien erhalten, einige darunter gehören jedoch zu den bedeutendsten und am besten erhaltenen der Insel, so Teile der Ausschmückung der Panagía Protóthroni in Chalkí und die Kirche Ágios Geórgios Diasorítis zwischen Chalkí und Monítsia. Die Malereien dieser Zeit weisen eine hohe Qualität und ein weitgefächertes, teilweise ungewöhnliches Repertoire auf. Als Stifter werden bedeutende kirchliche und weltliche Oberhäupter der Insel angegeben, wodurch sich die hohe Qualität erklären lässt.
In der Kirche der Panagía Protóthroni ist die Kuppel in der Mittelbyzantinischen Phase zweimal übermalt worden mit nur vier Jahren Abstand, das zweite Mal offensichtlich von einem anderen Auftraggeber, wobei einige Figuren durch andere ersetzt wurden. Dabei fällt auf, dass die neuere Schicht nicht nur eine etwas einfachere, gröbere Ausführung, sondern auch eine traditionellere Auswahl der Figuren aufweist, was auf eine recht konservative theologische Anschauung hinweist. Auch andere Wandmalereien dieser Zeit sind thematisch eher „rückorientiert“ und offenbar bewusst traditionsgebunden ausgeführt.
Ein einzigartiges Beispiel der Wandmalerei dieser Zeit ist die Kirche Ágios Geórgios Diasorítis (der Beiname leitet sich wohl vom „óros Días“, dem Zeus-Berg ab) in der Nähe von Chalkí. Es handelt sich um eine Kreuzkuppelkirche mit etwas jüngerem, querstehendem Vorbau und einfachem Glockengiebel im Westen. Die fast vollständig erhaltenen Malereien aus dem 11. Jahrhundert sind nicht nur von ausgezeichneter Qualität und Schönheit, sondern auch in der Auswahl der Darstellungen und der Anordnung der Figuren sehr bemerkenswert. Um ähnliche Darstellungen zu finden, muss man in vielen Fällen in weit weg gelegenen Kirchen suchen, so auf Kreta, in Thessaloniki, in Korfu, aber auch in Kappadokien und in Kiew. Besonders bemerkenswert an den Wandmalereien des Ágios Geórgios Diasorítis ist nicht nur die ausgewogene, theologisch durchdachte, als Ganzes und in den Einzelheiten harmonische Komposition der dargestellten Heiligen und biblischen Szenen, sondern auch die Ausführung der Figuren mit angenehmen, kräftigen Farben und entschlossener Linienführung. Sehr beeindruckend sind die abgebildeten Heiligen mit ihrem ernsten und besonnenen, aber auch kraftvollen Ausdruck, der gleichzeitig eine tiefe heilige Ruhe und Menschenfreundlichkeit widerspiegelt. Dabei besitzt jeder Heilige trotz der insgesamt ähnlichen Haltung eigene Charakteristika. Wie ergreifend muss die Kirche gewesen sein, als alle Malereien noch frisch und unbeschädigt waren!
Die bedeutende byzantinische Kirche Ágios Geórgios Diasorítis bei Chalkí besitzt in ihrer Vollständigkeit im gesamten Ägäisraum einzigartige Wandmalereien.
Das Innere der Kirche ist mit fast vollständig erhaltenen Wandmalereien ausgeschmückt. Im Allerheiligsten sind in der Kuppel der Apside die Panagía mit dem Christuskind dargestellt und darunter vier stehende Heilige, hier die Heiligen Grigórios Theológos und Basílios.
die Heiligen Aníkitos und Fótios
Die Heiligenfiguren, hier Joánnis Eleimon, sind besonders ausdrucksvoll.
Der Heilige Geórgios ist in der Mitte der Apside dargestellt mit seinen Eltern zu seiner rechten und linken Seite.
Das 13. und 14. Jahrhundert
Aus dem 13. und den ersten Jahrzehnten des 14. Jahrhunderts stammen die weitaus meisten byzantinischen Kirchen von Naxos, wobei es sich hier größtenteils um kleine Kirchen handelt, die sich meist nicht in der Tragaía oder sonst im Zentrum der Insel befinden, sondern in ihren abgelegeneren, ländlichen Gebieten. Als Stifter der Malereien werden, wo Inschriften erhalten sind, lokale Priester und einfache Dörfler angegeben; manchmal sind die Malereien von den Stiftern selbst angefertigt worden. Entsprechend ist die Ausführung oft von etwas einfacherer Qualität als die Malereien der vorigen Phase, aber in Anbetracht dieser Umstände doch größtenteils sehr bemerkenswert; nur wenige Malereien haben einen „dörflichen“ Stil. Die Thematik ist wiederum meist eher konservativ und recht frei, was die Auswahl der dargestellten Figuren betrifft: Diese richtete sich offensichtlich nach dem persönlichen Geschmack des Stifters.
Im 13. und 14. Jahrhundert stand Naxos unter venezianischer, also katholischer Oberherrschaft. Es ist erstaunlich, dass der byzantinische Kirchenbau und die Wandmalerei auf Naxos in dieser Zeit noch einmal eine derartige Blüte erlebte (was beweist, dass die griechischen Bürger der Insel in diesem ersten Jahrhundert der venezianischen Feudalherrschaft noch eine vergleichsweise große religiöse Freiheit und wirtschaftliche Selbständigkeit genossen); ebenso erstaunlich ist aber auch, dass in den Wandmalereien fast nirgendwo ein lateinischer Einfluss nachzuweisen ist – damals wie auch später hielten sich die Venezianer streng von den Griechen getrennt und es kam zu kaum einer gegenseitigen kulturellen Beeinflussung.
Ein gutes Beispiel für Kirchen mit Wandmalereien aus dem 13. Jahrhundert sind die Kirchen Ágios Geórgios und Ágios Pachómios bei Apíranthos.
Die Apsis des Südschiffs des Ágios Geórgios ist mit Wandmalereien geschmückt, die teilweise noch recht gut erhalten sind.
Heiligenfigur im unteren Teil der Apsis
Hier wohl die Jungfrau Maria links vom in der Kuppel der Apsis dargestellten Gottvater.
Manche besonders empfindlichen Stellen der Wandmalereien sind mit speziellem Tuch abgedeckt worden, um sie zu schützen.
eine weitere recht gut erhaltene Heiligenfigur
In der benachbarten, etwas jüngeren Kirche des Ágios Pachómios sind die die Wandmalereien in den Säulenecken unterhalb der kleinen Kirchenkuppel am besten erhalten.
An der Seitenwand dieser Kirche ist dieser Engel abgebildet.
Ebenfalls aus dem 13. Jahrhundert stammen die Wandmalereien in der eigentümlichen Kirche des Ágios Panteleímonas in Lakkomérsina bei Apíranthos.
Das südliche Schiff ist mit ziemlich ausgedehnten Wandmalereien aus dem 13. Jahrhundert ausgeschmückt.
Heiligenfigur
Zwischen den Heiligenfiguren erkennt man Ornamente.
Diese Figuren sind recht gut erhalten. Man beachte die mit vielen sorgfältig ausgeführten Details geschmückten Gewänder.
Eine der typischen Kirchen mit Wandmalereien des 14. Jahrhunderts ist die des Ágios Geórgios in Sífones.
Die farbenprächtige Wandmalerei ist in Teilen gut erhalten.
Hier ist wohl der Heilige Georgios dargestellt.
Die Heiligenfiguren sind sorgfältig gemalt.
Fische zu Füßen eines der Heiligen
Eine weitere Heiligenfigur steht an der Seitenwand.
Wie schade, dass die schönen, so viele Jahrhunderte alten Malereien an manchen Stellen beschädigt sind!
Auch die kleine byzantinische Kirche Ágios Nikólaos bei Komiakí (am Troúllo) ist mit Malereien aus dem 14. Jahrhundert ausgestattet.
der Innenraum der Kirche mit den Wandmalereien unter dem Gewölbe, dem durch eine Säule abgetrennten Altarraum und der einfachen, niedrigen Apsis
Die Apsis schmücken die Köpfe von Christus in der Mitte mit Maria und Johannes Prodromus an den Seiten.
Im vorderen Bereich der Kirche ist auf der linken Seite Mariä Lichtmess dargestellt, die „Präsentierung“ von Christus vierzig Tage nach seiner Geburt im Tempel von Jerusalem vor den beiden Alten Simeon und Hanna.
Darstellung des Johannes Prodromus; man beachte die ungewöhnliche Gestaltung der Augen mit geradem Unterrand: eines der wenigen Beispiele auf Naxos, das auf einen lateinischen Einfluss hinweist.
Es ist wirklich zu wünschen, dass dieser naxiotische Schatz in Zukunft eine ähnliche Beachtung findet wie seine antiken Altertümer!
siehe auch:
- Das byzantinische Naxos
- Die byzantinischen Kirchen von Naxos
- Geschichte
- Sehenswürdigkeiten
- Kirchen und Klöster
- Panagia Drosiani bei Moni
- Agia Kyriaki bei Apiranthos
- Agios Georgios und Agios Pachomios bei Apiranthos
- Agios Panteleimonas bei Lakkomersina
- Agios Joannis und Agios Georgios bei Sifones
- Agios Nikolaos am Troullo