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Die Alt- und Mittelsteinzeit

Bis vor kurzem ging man davon aus, dass die Ägäischen Inseln erst in der Jungsteinzeit von Menschen besiedelt wurden. Als einer der frühesten Nachweise, dass Menschen die Kykladen erreicht hatten, galten die Funde von Obsidian von der Insel Milos in 9.000 Jahre alten Siedlungsresten auf dem griechischen Festland. Die ältesten Ausgrabungen und Fundstücke, die man von Naxos kannte, waren in die Jungsteinzeit zu datieren (ab etwa 6.500 v. Chr.), so die untersten Schichten der Ausgrabungen in der Zeus-Höhle, Siedlungreste bei der Chora und vereinzelte Fundstücke aus verschiedenen Regionen der Insel.

Neue Forschungsergebnisse von Kreta und einigen anderen griechischen Inseln sowie eine in den letzten Jahren wieder aufgenommene Untersuchung auf Naxos werfen jedoch ein ganz neues Licht auf die Frühgeschichte der Ägäis: Sie zeigen, dass diese Inseln schon wesentlich früher von Menschen besiedelt waren oder besucht wurden als bisher angenommen. Auf Naxos sind auf dem Hügel der Stelída südlich der Chóra menschliche Artefakte zu finden, die in die Mittel- und sogar die Altsteinzeit (Altsteinzeit: etwa 600.000 bis 12.000 v. Chr.; Mittelsteinzeit: etwa 12.000 bis 6.500 v. Chr.) zu datieren sind. Diese Fundstellen sind in den frühen Achtziger Jahren erstmals entdeckt und beschrieben worden, werden aber erst in den letzten Jahren von griechischen und kanadischen Archäologen systematisch untersucht.

Die Hornstein-Schichten der Stelída

Auf der Stelída, einem einzelstehenden Hügel südwestlich der Chóra von Naxos, finden sich interessante, in der näheren und weiteren Umgebung einzigartige Lagen aus gut zu bearbeitendem, teilweise sehr reinem Hornstein. Dieser wurde in der Steinzeit von den frühesten Menschen, die nach Naxos kamen, zur Herstellung von Steinwerkzeugen verwendet. Spuren dieser Nutzung sind bis heute in der Gegend zu finden.


Der Hügel der Stelída südlich von Naxos-Stadt; von Südwesten gesehen. Auf der Spitze des Hügels sieht man die Schichten des Hornsteins, der schon in der Altsteinzeit zur Werkzeugherstellung verwendet wurde.


Die von den Archäologen untersuchten Gebiete liegen größtenteils auf dem felsigeren Gelände an der Spitze des Hügels.


Oben auf dem Hügel stehen dicke Hornstein-Schichten an.


Der ganze Hang unterhalb der Hügelspitze ist mit Hornstein-Brocken und -Stücken übersät; hier kann man auch viele Splitter finden, die Spuren einer Bearbeitung tragen.

Hornstein

Als Hornstein (engl. chert) bezeichnet man kieselsäurehaltige Gesteine, die entweder durch eine sekundäre Verkieselung von Sedimenten entstehen oder sich aus kieselsäurereichen Schmelzen bzw Gelen oder Ablagerungen bilden (z.B. aus Radiolarien = Kieselalgen: so entstehen Feuersteinknollen).

Der Hornstein der Stelída ist durch vulkanische Aktivität im Pliozän (vor etwa 2,5 Mio. Jahren) entstanden, als kieselsäurehaltige Flüssigkeiten bzw Gase in sandige Sedimentschichten eindrangen, die dadurch verkieselt wurden. Die obersten Schichten des Hornsteinlagers sind Lagen von bräunlichem oder weißen Hornstein aus fast reinem Siliziumdioxid (Quarz). Sie entstanden aus einem „Kieselsäuregel“, das zwischen die Sedimentschichten drang. Die kieselsäurehaltigen Gase und Flüssigkeiten bildeten sich bei der Gebirgsbildung, durch die die ägäischen Inseln entstanden sind, als silikatreiche Sedimente an- oder aufgeschmolzen wurden. Das Siliziumdioxid hat einen niedrigeren Schmelzpunkt als andere Minerale und sammelt sich im Lauf der Umkristallisationen deswegen als Schmelze oder, wegen der hohen Drücke, als Gas an. In der letzten Phase der Gebirgsbildung, wenn die Drücke nachlassen und die Temperaturen wieder sinken, bilden sich oft Risse in den Gesteinmassen, durch die die Kieselsäure-haltigen Gase und Flüssigkeiten in oberflächennahe Schichten vordringen können. Derartige Phasen werden als „postorogener Vulkanismus“ bezeichnet. Wenn die Kieselsäure in Sedimentschichten unterhalb der Erdoberfläche „stecken“ bleibt und dort erstarrt, bilden sich Hornstein-Lagen wie die der Stelída (diese sind seitdem durch tektonische Bewegungen und Erosion an die Oberfläche gelangt), während auf Milos entsprechende kieselsäurehaltige Flüssigkeiten ins Meer eindrangen und dort durch die plötzliche Abkühlung zu einem vulkanischen Glas (Obsidian) erstarrten. Die Hornsteinschichten der Stelída liegen oberhalb eines vor etwa 15 Mio. Jahren in der letzten Phase der Gebirgsbildung aus der Tiefe aufgedrungenen magmatischen Körpers, der heute in Westnaxos um die Chóra herum als Granodiorit an der Oberfläche ansteht.

Hornsteine weisen aufgrund der schnellen Abkühlung eine sehr feinkristalline Struktur auf, die zu einem muscheligen Bruch ähnlich dem des Obsidians führt. Durch die entsprechende Bearbeitung kann man aus Hornstein-Splittern wie aus Feuerstein und Obsidian scharfkantige Steinwerkzeuge herstellen.


Als Hornstein werden kieselsäurehaltige Gesteine bezeichnet, d.h. Gesteine, die überwiegend aus Siliziumdioxid (kristalline Form: Quarz) bestehen. Je nach Verunreinigung durch andere Mineralien kann der Hornstein eine weißliche, rötliche, bräunliche, grünliche oder fast schwarze Färbung aufweisen.

Die Steinwerkzeuge der Stelída

Im Bereich des Hornsteinvorkommens der Stelída sind von den Archäologen an der Oberfläche freiliegend oder in Ausgrabungen große Mengen an steinzeitlichen Steinwerkzeugen gefunden worden. Schaber, teilweise mit retouchierten Rändern, sind der am häufigsten auftretende Werkzeugtyp; seltener kommen Bohrer und Klingen vor (mehr als doppelt so lang wie breit). Meist ist nur die Vorderseite der Abschläge bearbeitet.


Hier sieht man natürliche Splitter von weißem, reinem Hornstein. Diese sehr feinkristallinen Stücke zeigen einen ähnlich glasartigen Bruch wie Feuerstein und Obsidian, lassen sich leicht bearbeiten und bilden sehr scharfe Kanten.


An diesen Splittern sieht man die sogenannten Wallner-Linien: konzentrische Ringe, die wie „eingefrorene Schallwellen“ durch einen Schlag entstehen. Sie sind ein Anzeichen dafür, dass diese Splitter nicht natürlich entstanden sind, sondern künstlich abgespalten wurden.


Diese Hornstein-Splitter zeigen weitere Merkmale eines künstlichen Abschlags. Die Schlagstelle ist mit einem Pfeil markiert; sie liegt oft auf einer künstlich geglätteten Schlagfläche. Die abgebildete Seite des Splitters ist jeweils die Ventralfläche, d.h. die, die am Kern angelegen hat, von dem der Splitter abgeschlagen wurde. Sie zeigt eine deutliche, durch den Schlag entstandene Wölbung (Bulbus); nahe bei der Schlagstelle sieht man die Schlagnarbe, die dadurch entsteht, dass sich beim Schlag oft ein kleines rundliches Splitterchen ablöst (Kreis).


An diesem Stück ist die Kante ringsum durch kleine Schläge „retouchiert“ worden, ebenfalls ein klares Anzeichen für eine Bearbeitung. Während die Schneide eines Splitters von allein scharf genug sein kann, um damit weiche Materialien (z. B. Fleisch oder Leder) zu schneiden, retouchierten die Steinzeitmenschen die Kanten der Steinwerkzeuge, mit denen härtere Materialien wie Holz oder Horn bearbeitet werden sollten, um sie haltbarer zu machen. Das rechte Bild die Ventralseite des Abschlagstücks, die am Kern anlag, das linke Bild zeigt die Dorsalseite, auf der die Kanten zu sehen sind, die beim Abschlagen vorheriger Stücke entstanden sind (Dorsalgrate).

Nach ihrer Machart und Form können die Steinwerkzeuge der Stelída zwei unterschiedlichen Epochen zugeordnet werden. Etwas kleinere und feiner gearbeitete Schaber, Bohrer oder Klingen, oft mit sorgfältig bearbeiteten Rändern, sind typisch für die Jüngere Mittelsteinzeit (vor etwa 9.000 Jahren). Ein zweites Set von Werkzeugen, die etwas größer und gröber gearbeitet sind und eine unregelmäßigere Form aufweisen (größtenteils rundliche oder etwa dreieckige Schaber), ist in die Mittlere Altsteinzeit zu datieren (in der Ägäis vermutlich vor etwa 130.000 bis 80.000 Jahren). Diese Abschläge sind mit der für diese Zeit charakteristischen Levallois-Technik hergestellt, bei der der „Kern“ sorgfältig vorbereitet und in Form gebracht wird, so dass ein fertiges Werkzeug abgespalten wird, anstatt dass die abgeschlagenen Stücke nach der Abspaltung weiter bearbeitet (z.B. retouchiert) werden.

Die ersten Menschen auf Naxos

Schon die Werkzeuge aus der Mittelsteinzeit, die auf der Stelída gefunden werden, sind von großem Interesse. Zunächst einmal sind sie gut dreitausend Jahre älter als die ältesten bisher bekannten Funde von Naxos; aber auch in anderer Hinsicht sind sie ungewöhnlich. Bemerkenswert ist beispielsweise, dass diese sehr frühen Steinwerkzeuge aus Hornstein hergestellt sind, der in den späteren Funden der Insel nicht oder kaum mehr anzutreffen ist. An den Hornstein-Vorkommen ist keinerlei Keramik zu finden: Soweit erkennbar wurden von den Menschen, die den Hornstein nutzten, noch keine Tonwaren hergestellt. Dagegen fanden sich einzelne Steinwerkzeuge aus Marmor sowie auch aus Schmirgel, der ja ebenfalls ein sehr bedeutender Rohstoff der Insel ist. Andererseits fehlen an diesen Fundstellen die für die Jungsteinzeit und die Frühe Bronzezeit so typischen Obsidianklingen – weder das Material tritt auf, noch die späteren Werkzeugformen (lange Klingen mit parallelen Kanten, Pfeilspitzen, Speerspitzen).

Unsere Kenntnisse über diese mittelsteinzeitlichen Menschen auf Naxos sind natürlich noch viel zu spärlich, als dass wir uns ein klares Bild von ihnen machen könnten; ohne weitere Funde ist es zum Beispiel unklar, ob die Menschen auf Naxos wohnten oder die Stelída nur wegen des Hornsteins und zur Herstellung der Werkzeuge besuchten.

Noch wesentlich bemerkenswerter sind die Fundstücke aus der Altsteinzeit. In dieser Zeit kam in Südeuropa noch der Neandertaler (Homo neanderthalensis) vor, während der Moderne Mensch (Homo sapiens) erst vor etwa 40.000 Jahren allmählich aus Afrika einwanderte. Der Neandertaler entwickelte nur einen einfachen Werkzeuggebrauch: Die üblichen Artefakte umfassen Steinwerkzeuge wie die auf Naxos gefundenen, einfache Holzlanzen und aus Knochen hergestellte Gerätschaften, aber keine Tonwaren. Die Neandertaler lebten in kleinen Gruppen und hielten sich oft in Höhlen auf. Sie scheinen einfache Schmuckstücke hergestellt zu haben und bestatteten ihre Toten manchmal schon in Gräbern.

Vor etwa 100.000 Jahren, als die Neandertaler die Stelída (und andere griechische Inseln, u.a. Kreta) zur Werkzeugherstellung besuchten, lag der Wasserstand in der Ägäis aufgrund der Vereisung der Polkappen wesentlich (maximal etwa 120 m) niedriger als heute. Das führte dazu, dass während der Kaltzeiten die Kykladen zu einer großen Insel zusammengewachsen waren und die ebenen Landregionen zwischen den heutigen Inseln trocken lagen. Auch zur Zeit, aus der die naxiotischen Funde stammen, waren Naxos und Paros durch eine große Ebene verbunden. Höchstwahrscheinlich lebten die Neandertaler in diesen ebenen Bereichen zwischen den heutigen Inseln, zusammen mit vielerlei Weidetieren wie den Kykladen-Zwergelefanten. Leider hat das zur Konsequenz, dass die meisten Zeugnisse ihrer Existenz vermutlich heute für uns unerreichbar auf dem Meeresboden liegen. Auf den heutigen Inseln sind die Bedingungen für die Konservierung von Überresten der Frühmenschen (und der Tiere, von denen sie lebten) nicht gerade günstig: Die ganze Region wird seit dem Miozän stark angehoben und dadurch erodiert, so dass es nur wenige jüngere Sedimente gibt, in denen Spuren der eiszeitlichen Bewohner erhalten geblieben sein könnten – das meiste Material wird ins Meer geschwemmt. Sicher ist, dass die Neandertaler, um die Stelída zu erreichen, das Meer überqueren mussten, mindestens eine Meeresstraße zwischen den Kykladen und dem griechischen Festland. Somit zeigen die Funde altsteinzeitlicher Steinwerkzeuge auf Naxos und insbesondere auf Kreta, dass auch der Neandertaler schon Boote herstellen und benutzen konnte.

weiter: Die Jungsteinzeit

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