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Volk und Sprache der Kykladenkultur

Wir wissen nicht genau, was für ein Volk in der Frühen Bronzezeit auf den Kykladen wohnte. Es gibt keine direkten schriftlichen Zeugnisse aus der Zeit der Kykladenkultur; die ersten Schriften in Griechenland, die minoische Linear A- und die mykenische Linear B-Schrift, tauchen erst um 2.000 bzw. 1.400 v. Chr. auf (nachdem die Sumerer schon ab 3.300 v. Chr. die Keilschrift entwickelt hatten). Sicher ist, dass die ersten griechischen Volksstämme auf dem griechischen Festland um etwa 2.000 v. Chr. auftauchten und erst ab etwa 1.500 v. Chr. (mit dem Beginn der mykenischen Epoche) auf die Inseln vordrangen; davor war das Gebiet von Volksgruppen besiedelt, die diverse andere Sprachen benutzten.

Die antiken Geschichtsschreiber berichten, dass auf den Inseln und auch dem griechischen und kleinasiatischen Festland vor der Einwanderung der Griechen “pelasgische” Volksstämme wohnten, was als Sammelbezeichnung für eine ganze Reihe vorgriechischer Völker aufgefasst wird (das Wort ist vielleicht verwandet mit pélagos, dem griechischen Wort für Meer, gleiche Wortfamilie wie “flach”). Diese frühen Kykladenbewohner werden oft Leleker oder Leleger genannt, was ebenso wie das Wort „Barbaren“ wohl eine Lautmalerei des unverständlichen „Brabbelns“ oder „Lallens“ sein soll. Weitere Völker, die in der Ägäisregion wohnten, sind die Hethiter, die Luwier, die Lydier, die Tyrrhenen usw. Über die genaue Verwandtschaft und Ausbreitung dieser verschiedenen Völker herrscht jedoch noch Unklarheit.

Mesopotamien: Ursprung aus dem Osten

Als Wiege unserer europäischen Kultur gilt Mesopotamien, wo sich schon um etwa 10.000 v. Chr. eine vergleichsweise fortschrittliche steinzeitliche Kultur mit Ackerbau und Domestikation der Haustiere entwickelte. Dort begann auch die Kultivierung von Weizen, Gerste, Linsen, Erbsen und anderen Nutzpflanzen wie Wein, Mandeln, Feigen usw. Eine wichtige Revolution des täglichen Lebens wurde durch die Domestizierung der Ziege, des Schafs, des Schweins und (um 6.500 v. Chr.) des Rindes in Gang gesetzt. Ab etwa 3.300 v. Chr. wurde Bronze hergestellt und verarbeitet – der Beginn der Bronzezeit.

Es gibt zahlreiche Ähnlichkeiten und Übereinstimmungen zwischen der jungsteinzeitlichen Kultur Mesopotamiens und den Kulturen des östlichen Mittelmeergebietes, die einen Kontakt sowie eine Befruchtung der griechischen und anderer Kulturen aus dem Osten belegen. So breiteten sich die verschiedenen Kulturpflanzen und Haustiere, aber auch zahlreiche Errungenschaften im Bereich von Handwerk und Technik sowie Aspekte der Religion von Mesopotamien ausgehend allmählich über den Nahen Osten, Anatolien und Kleinasien aus, und erreichten Ägypten, Zypern und Kreta. Von Kleinasien aus drangen sie vergleichsweise sehr früh auch in die Ägäis vor, dann auf das griechische Festland und weiter nach Norden. Die frühe Kultur des Ägäisraumes weist allerdings trotz dieser offensichtlichen Befruchtung aus dem Orient viele Eigenständigkeiten auf, die die Abgrenzung als eigenständige Kultur rechtfertigen.

Aus der Ägäis wurde die bronzezeitliche Kultur durch die Kykladenmenschen und die Minoer auch in das westliche Mittelmeergebiet gebracht, wo sie die lokalen Steinzeitkulturen befruchtete. Hier verbreitete sich die Kenntnis der Metallverarbeitung und damit die bronzezeitliche Kulturstufe nun nach und nach entlang der westeuropäischen Küste nach Norden – gleichzeitig drang sie auch vom Balkanraum aus nach Mittel- und Nordeuropa vor, wo die Bronzezeit gut 1000 Jahre später einsetzte als in der Ägäis.

Die spezielle Entwicklung in der Ägäis

Die Entwicklung der Ägäisregion nahm schon von der Frühen Bronzezeit an einen besonderen Verlauf, der sich deutlich von dem der benachbarten Regionen unterschied. Im Orient und in Ägypten mit den endlosen Wüsten und gewaltigen Flüssen war das Schicksal der Menschen vor allem davon abhängig, ob ausreichend Regen fiel, und der Mensch war dem Willen der Naturgewalten schutz- und hilflos ausgeliefert, wurde aber auch immer wieder mit einem überquellenden Reichtum und üppiger Fruchtbarkeit beschenkt. Insbesondere in Ägypten entwickelte sich vermutlich in Analogie zu dieser übermächtigen Naturgewalt ein Staatswesen mit einem allmächtigen Gottkönig, in dem dem einzelnen Individuum wenig Bedeutung zugemessen wurde und der Mensch sich dem Willen der fernen, ja unerreichbaren Götter ohne eine Möglichkeit der Beeinflussung zu unterwerfen hatte.
Im Gegensatz dazu gestaltete sich das Schicksal der Menschen in der kleinräumigen, freundlicheren, überschaubaren, verstreut besiedelten Ägäis viel persönlicher und individueller. Das Gewicht in der Gesellschaft lag hier auf dem Individuum; auch die Götter wurden menschlich gestaltet. Die Umwelt war variabler und forderte dem Menschen immer neue, andersartige Anstrengungen ab. Insbesondere für die auf den Inseln lebenswichtige Schifffahrt musste der Mensch danach streben, seine Umwelt zu verstehen und die natürlichen Erscheinungen wie das Wetter und die Bewegungen der Sterne und Planeten zu durchschauen. Der Handel brachte die Menschen der vergleichsweise kleinen Gemeinschaften in Kontakt mit einer Vielzahl anderer Kulturen, wodurch die eigene Sichtweise der Welt relativiert wurde. Der Mensch wandte sich der Welt in einem rationalen, analysierenden, gestaltenden Prozess zu. Nur vor diesem Hintergrund sind die großartigen Leistungen der antiken Griechen auf den Gebieten der Wissenschaft, der Technologie und der Philosophie zu verstehen, die die Grundlage für unsere heutige moderne Welt lieferten.

Die Thraker auf Naxos

Außer mit Kleinasien und dem östlichen Mittelmeergebiet stand die Kykladenkultur in enger Beziehung mit nordägäischen und aus dem Balkanraum stammenden Völkern. Nach den allerersten, steinzeitlichen bis frühbronzezeitlichen Siedlern, die vermutlich ursprünglich aus dem östlichsten Mittelmeergebiet und dem Orient stammten (s.o.), scheinen während der Frühen Bronzezeit Thraker aus Nordgriechenland auf die Kykladen gekommen zu sein. Die antiken griechischen Geschichtsschreiber berichten, dass Naxos von Karern besiedelt worden sei, einem thrakischen Stamm, der sich nach Kleinasien ausbreitete.

Die Thraker in Rumänien und Bulgarien (sowie eventuell im Gebiet des um 6.500 v. Chr. durch einen Einbruch des Mittelmeeres überschwemmten Schwarzen Meeres) besaßen schon früh eine vergleichsweise sehr hoch entwickelte jungsteinzeitliche Kultur mit Städten von bis über 10.000 Einwohnern(!). Ähnlichkeiten mit der Kykladenkultur finden sich beispielsweise in der Töpferei (in beiden Kulturen häufig mit spiralförmigen Mustern), in den Nutztieren und Nutzpflanzen sowie darin, dass weibliche Idolfiguren angefertigt wurden. Die thrakischen Bewohner des Ostbalkans entwickelten schon im 4. Jahrtausend vor Christus eine bemerkenswerte Metallverhüttung; aus dieser Zeit stammen auch die ältesten, überaus beeindruckenden Goldschätze dieser Region (z.B. der Schatz von Varna).

Überlieferungen über die Karer und verwandte Stämme

Enge Beziehungen zwischen den Kykladenbewohnern und der nordöstlichen Ägäis bestanden insbesondere in der mittleren und späten Phase der Kykladenkultur und in den späteren Epochen der Bronzezeit (minoische und mykenische Epoche). Karer und Pelasger sollen im Trojanischen Krieg (der vermutlich auf Ereignissen beruht, die um 1.200 v. Chr. stattfanden) auf der Seite der Trojaner gekämpft haben. Die antiken Geschichtsschreiber berichten, dass die Karer hervorragende Seefahrer gewesen seien und die gesamte Ägäis befuhren, bis König Minos sie schließlich unterwarf, wie ja auch tatsächlich die Kykladenkultur von der minoischen abgelöst wurde, als um 2.000 v. Chr. Kreta die Vorherrschaft über die Ägäis errang. Später siedelten sich die Karer in einem Landstrich in Kleinasien (Karien) an. Im 7. Jahrhundert v. Chr. sollen sie nach Ägypten ausgewandert sein, einer der zahlreichen Hinweise auf die Beziehungen der ägäischen Völker mit Ägypten. Auch andere Ägäis-Völker haben größere Wanderungen unternommen, beispielsweise die Tyrrhenen, die der Sage nach in der Nähe von Naxos Dionysos als jungen Gott mit einem Schiff entführten und allem Anschein nach später nach Unteritalien auswanderten und dort den Volksstamm der Etrusker bildeten.

Die ägäischen Sprachen

Über die Sprache, die die vorgriechischen Bewohner der Ägäis gesprochen haben, ist nicht viel bekannt. Manche vorgriechischen Sprachen werden als nicht-indoeuropäische Sprachen eingestuft. Thrakisch ist jedoch sicher indoeuropäisch; auch Karisch soll eine indoeuropäische Sprache gewesen sein. Aus den vorgriechischen Sprachen haben sich eine ganze Reihe von Wörtern bis heute erhalten, insbesondere Ortsbezeichnungen (was übrigens eine kontinuierliche Besiedlung und lokale Überlieferung über immerhin etwa 5.000 Jahre nachweist). Charakteristisch für die vorgriechischen Wörter sind die Buchstabenkombinationen -ss- (z.B. thálassa (Meer), kyparíssi (Zypresse), Parnassos…), -tt- (z.B. Lykabettos), -nth- (z.B. Korinth), -ns- (z.B. Tiryns).

Symbole der indoeuropäischen Ackerbaukultur

Wie ein roter Faden ziehen sich bestimmte Charakteristika und Symbole der uralten Ackerbau-Kultur durch die europäische Geschichte. Die Menschen verehrten zunächst eine Mutter-Erde-Gottheit als “Gebärerin” der Welt und Fruchtbarkeitsgöttin, die sie in steinernen oder tönernen Idolen abbildeten. Später wurde diese in ihrer Rolle als Haupt-Gottheit von einem männlichen Gott abgelöst. Dieser fand sein ausdrucksstärkstes Symbol im männlichen, von Kraft und Leben strotzenden Stier (so schon in Mesopotamien, aber auch in Kreta und später beispielsweise in Spanien). Weitere vielbenutzte Symbole des männlichen Hauptgottes, der auch als Wettermacher verehrt wurde, waren der Blitz (z.B. Zeus), die (minoische Doppel-)Axt und der Hammer (thrakisches Symbol, Thor,…). Ein beliebtes Sinnbild war auch die Eichel als Phallus-Symbol und Symbol der Lebenskraft, ebenso wie auch das Ei. Von Anfang an verliehen die Menschen auch der Weinrebe eine besondere Bedeutung.

Die Spirale

Eines der wichtigsten Symbole der Kykladenkultur, aber auch vieler anderer früher Kulturen, so der thrakischen und der keltischen, war die Spirale, die sehr häufig für Verzierungen verwendet wurde. Die Spirale symbolisiert den Lauf der Sonne und der Sterne, den Gang der Zeit, das sich entfaltende Universum. Die einfache, anwachsende Spirale steht für das Leben, das sich entwickelt und wächst, für das Leben das lernt (im Gegensatz zum gleichbleibenden Kreis). Die Doppelspirale stand in der Kykladenkultur für das Größer- und Kleinerwerden der Tages- bzw. Nachtlänge im Laufe des Jahres. Sie versinnbildlicht dadurch gleichzeitig den Lauf der Jahreszeiten, die alljährliche, dionysische Wiederkehr des Frühlings, die Wiedergeburt. Sie ist das Symbol der Energie, der Schwingung, der unendlichen Bewegung.

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